Das Reich der Dunkelelfen - Weltennebel
wir das ja geklärt.« Mia warf den beiden Männern einen Blick zu. »Möchtet ihr euch noch etwas ausruhen, oder sollen wir weitergehen?«
Von dem Kampf waren alle erschöpft, aber die Aussicht, in Kürze wieder frische Luft zu atmen und Tageslicht zu sehen, war zu verlockend, und Atorian meinte, er wolle keinen weiteren Zusammenstoß mit einem Berggeist riskieren.
Sie sammelten ihre wenigen Sachen zusammen, nahmen den toten Wächtern ihren Proviant ab und machten sich dann auf den Weg. Erfreulicherweise war weder Nordhalans noch Atorians Verletzung schwerwiegend oder gar lebensbedrohlich. Dennoch hofften alle inständig, dass sie auf keine weiteren Wachen treffen würden. Wo die Männer hergekommen waren, würden sie nie erfahren. Vielleicht war es eine reguläre Patrouille gewesen, vielleicht auch gezielt ausgesandte Männer, die von der Oberfläche aus in die Mine geschickt worden waren. Auch blieb es ihnen ein Rätsel, warum der Culahan nicht längst die in den Tiefen arbeitenden Sklaven und Wachmänner angegriffen hatte. Mia war der Ansicht, dass der Culahan über längere Zeit im Fels geruht hatte – diese Ruhephasen konnten durchaus viele Jahre betragen. Dass er jetzt erwacht war, würde das Leben derer, die noch immer in Rodgill waren, sicher nicht einfacher machen. Allerdings meinte sie auch, Elementargeister seien schwer berechenbar und würden nicht immer nach menschlichen Maßstäben logisch handeln. Möglicherweise würde er die Männer in den Tiefen des Berges schon bald wieder vergessen und an der Oberfläche durch die Berge streifen.
Nach einem anstrengenden Marsch bergauf stieß Atorian plötzlich einen erfreuten Ruf aus. »Licht! Ich sehe Licht!«
Tatsächlich drangen durch einen schmalen Spalt Sonnenstrahlen herein, und sofort hasteten die vier Gefährten weiter. Atorian quetschte sich als Erster durch den Durchlass und sank draußen, seine Augen bedeckend, auf die mit Gras bewachsene Erde. Er hatte so viele Jahre unter dem Berg verbracht, dass ihm das gleißende Sonnenlicht sicher wehtat. Darian und Nordhalan erging es ähnlich, doch sie gewöhnten sich etwas schneller daran.
Mia ließ ihren Blick über das weite, zum größten Teil von Heidekraut und Felsen bedeckte Land schweifen, welches hier und da von kleinen Wäldern überzogen war. Darian trat blinzelnd neben sie und umarmte sie. »Ich danke dir! Ich danke dir tausend Mal.«
»Jetzt können wir zu Leána auf die Nebelinsel gehen.« Sie zögerte kurz. »Oder möchtest du zuerst Verbündete suchen?« In einer der kurzen Pausen hatte Darian ihr erzählt, dass er Torgal und Edur um Verzeihung bitten wollte.
»Zuerst muss ich Leána kennenlernen«, erwiderte er lächelnd, doch dann runzelte er die Stirn. »Wo sind wir hier?«
»Im Zwergenreich.«
»Oh, dann ist Edur …«, er unterbrach sich selbst und betonte noch einmal: »Leána geht vor.«
Vermutlich hatte Mia ihm seine Gedanken genau angesehen, denn sie legte ihm eine Hand auf die Wange. »Wir wären eine lange Zeit unterwegs, bis wir die Nebelinsel erreichen, und dann wieder ins Zwergenreich zurückzuwandern würde mehr als zwei Monde dauern. Du solltest Edur als Erstes aufsuchen. Leána ist in Sicherheit, Lilith achtet gut auf sie.«
»Ich weiß nicht«, murmelte er unzufrieden, obwohl ihm durchaus klar war, dass sie Recht hatte. Reisen in diesem Land dauerten einfach sehr lange. Dennoch erfüllte ihn die Sehnsucht danach, Leána zu sehen, und er erkannte das gleiche Sehnen in Mias Augen.
Gerade kam Atorian stöhnend auf die Füße. Er hielt sich eine Hand vor die Augen und blinzelte, und Darian sah, dass Tränen seine Wangen hinabgelaufen waren. Mia lächelte Darian zu und sagte, sie wolle Kräuter sammeln, und er vermutete, dass sie ihm und Atorian einen Augenblick der Zweisamkeit verschaffen wollte. Mit unsicheren Schritten und die Augen zu Schlitzen verengt trat Atorian näher. Sein Bruder wandte den Kopf in alle Richtungen. Zum Glück ging die Sonne gerade unter, und das Licht wurde etwas weicher, sodass es nicht mehr ganz so sehr blendete.
»Ich hatte nicht gedacht, dass ich das noch einmal sehen würde«, flüsterte Atorian gerührt. Er legte Darian einen Arm um die Schultern, dann richtete er sich stolz auf.
Trotz seiner ausgemergelten Erscheinung, trotz des langen, zotteligen Bartes und der Lumpen, die er statt Kleidern trug, erkannte Darian plötzlich den König in ihm.
»Pass auf, kleiner Bruder, wir holen uns alles zurück.« Er deutete nach Nord-Westen.
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