Das Reich der Dunkelelfen - Weltennebel
haben, wenngleich ihr dämmerte, dass diese sie auf lange Sicht auch nicht schützen würde.
Mit schneidend kalter Stimme sprach sie der Fremde an. »Was hast du in diesen Höhlen zu suchen?« Selten hatte Aramia eine so unangenehme und zugleich mächtige Stimme vernommen. Es war, als würden seine Worte eisige Dolche in ihr Herz jagen, und hätte sie sich bewegen können, sie hätte vor Angst gezittert.
»Meinen Urgroßvater besuchen«, presste sie mühsam in Dunkelelfensprache heraus und hoffte, die richtige Betonung getroffen zu haben.
Aus den Tiefen der Kapuze heraus durchbohrten sie die eigenartigen Augen, und Aramia glaubte schon, ihr Ende sei nahe, doch da schlurfte Ray’Avan heran. Er sah noch älter und verbrauchter aus, als sie ihn seit gestern in Erinnerung gehabt hatte. Dunkle Ringe lagen unter seinen Augen, aber als er sie sah, stahl sich eines dieser bei seiner Rasse eher seltenen Lächeln auf seine müden Züge.
»Meine Urenkelin, welch eine Freude … Wie heißt du noch gleich?« Er kratzte sich am Kopf, und als der andere Mann ihn prüfend musterte, fiel es ihm wieder ein. »Aramia!«
»Welch ehrlosen Klang besitzt dieser Name«, lies der Finstere sich vernehmen. »Niemals zuvor habe ich von jemandem vom Blute der ’Amia gehört.«
»Ich vergaß: Aramia’Avan.«
Kurz hatte Aramia den Eindruck, ihr Großvater würde ihr zuzwinkern, dann lösten sich die magischen Fesseln, und sie seufzte erleichtert.
»Besitzt sie deine Gabe, Ray’Avan?« Noch einmal spürte Aramia die kalten Augen auf sich.
»Nein, nein, nein, sie ist eine Kriegerin, eine von den Tunnelwächtern.«
Mit einem Schnauben verschwand der Dunkelelf und ließ Aramia mit immer noch zitternden Beinen zurück.
»Wer war das, Urgroßvater?«
»Nur ein alter Freund.«
»Du hast eigenartige Freunde.«
»Dal’Ahbrac ist jung und ehrgeizig und daher etwas mit Vorsicht zu genießen. Aus diesem Grund habe ich auch nicht verraten, dass du eine Nebelhexe bist.«
»Dal’Ahbrac?« Erschrocken wich Aramia zurück. »Ich dachte, die ’Ahbrac seien selbst bei den Dunkelelfen gefürchtet.«
»Aber nein, mein Kind, was veranlasst dich denn zu dieser Annahme? Dal’Ahbrac zählt schon seit beinahe einhundert Sommern zu meinen Freunden.«
»Urgroßvater, wie alt bist du?«, erkundigte sie sich vorsichtig, da sie eine Vermutung hegte.
»Erst vor kurzem habe ich den fünfhundertelften Sommer meiner Geburt erlebt«, erklärte er stolz, dann runzelte er die Stirn und überlegte: »Oder war es der sechshundertelfte?«
Seufzend wurde Aramia klar, dass sie Recht hatte. Ray’Avans Geist befand sich in einer weit zurückliegenden Zeit, als die ’Ahbrac noch eine ehrenwerte Familie gewesen waren.
»Schon gut«, versicherte sie sanft und schob den alten Mann in seine Höhle. Sie hoffte, dass er klar genug war für das, was sie von ihm wissen wollte. Eindringlich befragte sie ihn über Portalfinder, wann diese Gabe normalerweise zutage trat und wie man solche Magier fördern konnte.
Der alte Mann wusste jedoch offensichtlich nicht viel darüber oder konnte sich zumindest nicht daran erinnern. Während er erzählte, schweifte sein Geist immer wieder völlig unvorhersehbar von Vergangenheit zu Gegenwart. Zum Glück erzählte er dabei auch von seiner Urgroßmutter, der Portalfinderin, die angeblich sogar noch Atorian den Ersten gekannt hatte.
»Wenn du möchtest, vertraue ich dir ein Geheimnis an«, fragte er irgendwann, während sie ein eigenartig schmeckendes Teegebräu tranken, das bei Aramia einen bitteren Geschmack im Mund hinterließ.
»Ja, das würde mich freuen.« Spontan hatte Aramia ein gewisses Zutrauen zu dem alten Mann gefasst. Vielleicht, weil er so ganz anders war als die anderen Dunkelelfen, und in vielen Dingen beinahe menschlich.
Der alte Dunkelelf beugte sich zu ihr vor, als befürchte er, von jemandem belauscht zu werden. »Um die Erben Atorians zu schützen, verbreiteten die Diomár das Gerücht, wer einen der Northcliffs töte, sei verflucht.« Ein verschmitztes Schmunzeln erhellte sein vom Alter gezeichnetes Gesicht. »Aber das entsprach nicht der Wahrheit. Der Mann, der den Großvater von Isarius umbrachte, starb zwar, aber durch ein Gift, welches ein Mitglied der Diomár ihm verabreichte.«
Nun bekam Aramia große Augen. »Und was ist mit Jarredh von Northcliff? Dem Dunkelelfen, der ihn tötete, soll der Arm abgefault sein.«
Der alte Mann hob seine mageren Schultern. »Vermutlich hat er sich an seiner eigenen Klinge
Weitere Kostenlose Bücher