Das Reich der Elben 01
persönlich, dem die Reise über Land einfach zu beschwerlich gewesen war. Aber der Eisenfürst wusste, dass seine Anwesenheit bei der bevorstehenden Schlacht von entscheidender Bedeutung sein würde. Nur er verfügte über das Charisma, diesen riesigen Heerhaufen zu lenken. Und nur wenn er bei ihnen war, vertrauten die Rhagar-Krieger ihrer eigenen Stärke und glaubten daran, dass sie in der Lage waren, die Elben zu besiegen.
Während sich das Heer der Feinde im Süden formierte und die Truppen des Eisenfürsten Cadd erreichten, bereitete sich König Keandir in Elbenhaven darauf vor, mit allen verfügbaren Kriegern und Schiffen nach Elbara aufzubrechen. Die Schlacht war nun unvermeidlich.
Keandir bestimmte, dass Magolas in Elbenhaven zurückbleiben sollte, um die Nachfolge des Königs anzutreten, falls er in der Schlacht fiele. Andir hingegen war schon Wochen zuvor auf dem Landweg zur Aratanischen Mauer gereist und hatte die Magier und Schamanen der Elben um sich versammelt. Die Stabilität dieser aus Magie geborenen Mauer musste überprüft werden, und außerdem hatte der Kronrat beschlossen, die weiße Elbenmagie als Waffe zur Abwehr des Feindes einzusetzen. Andir hatte dazu seine Vorstellungen dargelegt, denen der Kronrat zugestimmt hatte.
Magolas war nicht glücklich über den Beschluss seines Vaters, dass er in Elbenhaven zu bleiben hatte. Aber auch die Entscheidung des Kronrates, nur die weiße Elbenmagie anzuwenden, wie Andir und die Magiergilde sie praktizierten, missfiel ihm. Im Kronrat hatte ihm einzig Thamandor darin
zugestimmt, dass es nun endlich an der Zeit wäre, die Magie der Zauberstäbe des Augenlosen zu wecken.
Am Tag vor dem Aufbruch suchte Magolas seinen Vater in dessen Turmzimmer auf.
»Ihr solltet Eure Entscheidungen noch einmal überdenken, Vater«, sagte er und sah, wie sich Keandirs Stirn umwölkte.
»Der Kronrat hat getagt – und er war sich im Wesentlichen einig«, erwiderte der Elbenkönig. »Die Magie in den Stäben des Augenlosen soll nicht geweckt werden. So groß die Not auch sein mag, wir sollten nicht vergessen, dass wir Elben sind, und Elben sollten nicht auf die Kraft von etwas abgrundtief Bösem vertrauen, solange ihre eigene Magie mächtig genug ist.«
»Wer will das im Voraus sagen, Vater?«
»Und wer will im Voraus sagen, ob es dir oder mir überhaupt möglich wäre, die Kraft der beiden Stäbe zu wecken? Thamandor hat es versucht und ist daran gescheitert.«
»Thamandor ist unter den Magiern wie ein Blinder unter Sehenden. Sein magisches Talent ist nur schwach ausgeprägt. Darum auch vertraut er eher auf mechanische denn auf magische Waffen und erfindet all diese Maschinen, als wäre er ein Tagoräer!«
»Wie gesagt, die Entscheidung ist getroffen, auch wenn sie dir nicht gefallen mag, mein Sohn.«
»Aber…«
Keandir trat auf Magolas zu und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Sollte mir etwas zustoßen, dann bist du König der Elben. Und dann wirst du entscheiden können, was zu tun ist.«
»Es stünde mir frei, die Magie der Zauberstäbe zu nutzen?« Die beiden Elben sahen sich eine Weile lang an. Vielleicht
suchte jeder von ihnen die Finsternis in den Augen des anderen.
Keandir zuckte schließlich mit den Schultern. »Die Toten sollten den Lebenden niemals Vorschriften machen, mein Sohn. Und wenn ich irgendwann nach Eldrana eingehe, werde ich mich an diesen Vorsatz halten, dessen kannst du sicher sein.«
In der Nacht vor dem Aufbruch schlief Ruwen sehr unruhig und erwachte wieder aus düsteren Träumen.
Keandir bemerkte dies, denn er lag wach neben ihr.
»Du kannst auch nicht schlafen, Kean?«
»Mein Kopf ist voller Gedanken.«
»Kean, du müsstest nicht in die Schlacht ziehen. Das könntest du Prinz Sandrilas überlassen. Er ist schließlich der Befehlshaber des Elbenheers.«
Keandir lächelte. »Aber ich bin der König. Und wie könnte ich von meinen Kriegern erwarten, dass sie in die Schlacht ziehen, wenn ich nicht bereit wäre, an ihrer Spitze zu reiten?«
Ruwen stand auf. Im fahlen Mondlicht, das durch das Fenster des königlichen Schlafgemachs fiel, schritt ihre grazile Gestalt zu einer Truhe. Sie öffnete sie und kehrte dann zu Keandir zurück, um ihm einen kleinen Lederbeutel zu geben, den man an einer Kordel um den Hals tragen konnte.
»Was ist das?«, fragte Keandir.
»Die Elbensteine«, sagte sie, und ihre Stimme war dabei kaum lauter als ein Windhauch.
»Das Symbol des Elbentums«, flüsterte Keandir. Die Steine waren in der Halle des Gedenkens aufbewahrt
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