Das Reich der Elben 01
ließ.
Nathranwen lächelte sie Mut machend an. »Zurzeit ist mit meinen Mitteln nicht festzustellen, ob Ihr derart auserwählt seid.«
»Ich weiß. Aber deutet mir den Traum, Nathranwen! Wird es zum Bruch zwischen den Elben kommen? Bedeutet es das? Werden wir in der Zukunft gegen unseresgleichen kämpfen?«
Die Heilerin hob die Schultern. »Es steht eine schwierige Entscheidung bevor: Sollen wir unsere Fahrt zu den Gestaden der Erfüllten Hoffnung abbrechen und dieses fremde Land dort zu unserer neuen Heimat machen«, sie wies zur nebelverhangenen Küste des neu entdeckten Eilands, »oder weiter nach etwas suchen, von dem viele inzwischen bezweifeln, dass es überhaupt existiert?«
Ruwen nickte. Wahrscheinlich hatte Nathranwen recht – wahrscheinlich war ihr Traum nichts weiter als die Versinnbildlichung dieses Konflikts, der im Moment die Gemüter aller Elben bewegte. Unterbrochen hatten sie ihre Reise schon oft, hatten an mehr oder minder einladenden Küsten überwintert oder dort einfach nur Wasser und Nahrung aufgenommen und ihre Schiffe repariert. Aber niemals war ihnen der Gedanke gekommen, diese Küsten zu ihrer Heimat zu machen und die Suche nach den Gestaden der Erfüllten Hoffnung zu beenden.
Mittlerweile aber waren manche Weisen und Gelehrte unter den Elben zu der Ansicht gelangt, dass die Gestade der Erfüllten Hoffnung auf gewöhnliche Weise nicht mehr zu erreichen wären; sie befänden sich – bedingt durch eine kosmische Konjunktion – inzwischen in einer durch Raum und Zeit abgetrennten Sphäre, in die man nur durch die Anwendung Weißer Magie gelangen könnte.
Doch die Anwendung dieser Magie hatte nicht das bewirkt, was sich die Elben erhofft hatten. Stattdessen waren sie ins Nebelmeer geraten, und die Befürchtung, dort vielleicht für
alle Zeiten umherirren zu müssen, hatte die Zahl derer, die unter der Krankheit des Lebensüberdrusses litten, sprunghaft in die Höhe steigen lassen.
Ein Meer, in dem es offenbar keine Inseln gab, keine Möglichkeit, sich zu orientieren – der Albtraum eines jeden Seefahrers schien für die Elben wahr geworden zu sein. Erst diese Küste, die sie entdeckt hatten, war nach langer Zeit wieder Anlass zur Hoffnung gewesen.
»Ich brauche dieses Land nicht zu betreten, um zu wissen, dass es mit der Herrlichkeit der Gestaden der Erfüllten Hoffnung nichts gemein hat«, sagte Ruwen, und ihre Stimme klang dabei fest und entschieden.
»Warten wir ab, bis unsere Kundschafter zurück sind«, entgegnete Nathranwen sanft. »Sie werden uns sagen, ob wir es tatsächlich nur mit einem schroffen, von wilden Schattengeschöpfen bevölkerten Eiland zu tun haben oder ob dies nur ein kleiner und vielleicht gar nicht repräsentativer Teil eines Kontinents ist, der uns viele noch ungeahnte Möglichkeiten bietet.«
Ruwen lächelte matt. »Ihr sehnt Euch auch nach einem Ende unserer Reise, richtig?«
»Ihr nicht?«
»Ja – aber die Frage ist, wo sie endet.«
»Man sollte sich niemals mit zu wenig zufrieden geben, das stimmt«, sagte Nathranwen. »Aber die meisten unseres Volkes fürchten sich davor, dass wir uns, wenn wir die Küste verlassen, wieder in der Sargasso-See verirren, gefangen im ewigen Nebel und ohne Hoffnung, jemals wieder hinauszufinden.«
Ruwen nickte und murmelte: »Der Kampf, von dem ich träumte, tobt wahrscheinlich zurzeit in der Seele eines jeden Elben.«
Bis zum Einbruch der Dunkelheit suchten Prinz Sandrilas und seine Krieger in der kargen, felsigen Landschaft nach Spuren der Geflügelten. Doch die affenartigen Bestien hatten sich offenbar zurückgezogen.
Immer wieder hielt die Gruppe an, und dann lauschten die Elben den schrillen Lauten, mit denen sich die Kreaturen auf primitive Weise zu verständigen schienen. Doch diese Laute waren immer schwerer auszumachen. Selbst ein Elb mit einem derart feinen Gehör wie Prinz Sandrilas konnte schließlich nicht mehr genau die Richtung ausmachen, aus der ihre Schreie kamen.
»Kein Wunder, dass sie so schnell einen so großen Vorsprung gewinnen konnten«, äußerte Merandil der Hornbläser. »Sie können fliegen, während wir uns durch unwegsames Gelände schlagen müssen.«
Sandrilas blieb zum wiederholten Mal stehen. Die Gruppe befand sich auf einem schmalen Grat. Der Elbenprinz ließ den Blick seines gesunden Auges über die Umgebung schweifen, die seit Einbruch der Dämmerung nur noch aus Schatten zu bestehen schien.
»Es ist seltsam«, gestand er. »Als wir zum ersten Mal den Strand dieser eigenartigen Küste betraten,
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