Das Reich der Katzen (German Edition)
... dämlich vor«, gestand Onisha.
Fleur riss erstaunt die Augen auf. »Hörte ich da etwa ‚dämlich‘
aus deinem erlauchten Mund?«
Onisha ging nicht darauf ein. Sie beschnupperte den Stein der
Weisen und wich entsetzt zurück. Ein strenger Geruch ging davon aus. Und erst
jetzt sah sie, dass der Lapis blutbefleckt war. »Fleur!«, schrie sie. »Sieh
nur.«
Fleur war sofort an ihrer Seite. »Was ist los? Warum schreist du
denn so?«
»Auf dem Stein ist Blut.« Onishas Stimme schwankte bedenklich.
Fleur betrachtete den Lapis näher. »Tatsächlich. Was das wohl zu
bedeuten hat? Die Kette, an der der Stein hängt, ist unversehrt. Sieht nicht
nach einem Kampf aus.«
Onisha lachte nervös. »Allmählich habe ich genug Überraschungen
erlebt.«
Fleur stieß sie freundschaftlich in die Seite. »Du kannst dich
nicht gerade beklagen, dass es langweilig ist, seit du mit mir unterwegs bist,
oder?«
»Gegen ein paar ruhige Tage hätte ich nichts einzuwenden.« Onisha
seufzte.
»Zu spät!«, rief Fleur plötzlich gut gelaunt.
Sie nahmen den Stein der Weisen mit, nachdem sie das Blut in
einer Pfütze abgewaschen hatten. Fleur hängte die Kette mit dem Stein zum
Trocknen in ein Gebüsch und betrachtete den Lapis argwöhnisch. Nach einer
Ewigkeit, so kam es Onisha zumindest vor, drehte sie sich wieder zu ihr herum.
»Versuch mal das Ding anzulegen«, befahl sie der verdatterten Freundin.
»Ich soll waaaas?« Onisha glaubte ihren Ohren nicht zu trauen.
»Nimm schon!«, forderte Fleur sie erneut auf.
»Warum sollte ich?« Onisha war der Gedanke nicht geheuer, mit dem
Stein um den Hals durch die Gegend zu laufen.
»Weil er einzig und allein für dich bestimmt ist«, beharrte
Fleur.
»So ein Blödsinn!«, entfuhr es Onisha. Sie war verärgert und
machte daraus keinen Hehl.
Aber Fleur blieb stur. »Leg ihn dir um!«, wiederholte sie mit
Nachdruck.
Onisha hätte jeden Eid darauf geschworen, dass in Fleurs Augen
ein Feuer flammte, das sie bisher noch nie darin gesehen hatte. Fleur war ihr
schlagartig wieder so fremd wie an dem ersten Tag ihrer Begegnung.
Nein, sie war ihr plötzlich noch fremder.
Dennoch, und das beunruhigte sie am meisten, hatte Fleurs
Aufforderung, die Halskette mit dem Stein überzustreifen, etwas in Onisha
wachgerufen. Als wolle der Stein sie ebenfalls überzeugen, schwang er plötzlich
sachte hin und her. Onisha ging bis auf eine Nasenlänge an ihn heran. Und in
dem Augenblick, als sie ihren Hals durch die baumelnde Kette steckte, wusste
sie, dass sie den Bund mit einer unbekannten Größe eingegangen war.
Sachmet, Sachmet, ich grüße dich , flüsterte die geheimnisvolle
Stimme in ihr.
Auf dem Weg zurück zu den Freunden gingen Onisha und Fleur durch
einen noch gut erhaltenen Klostertrakt. Es handelte sich um einen gespenstisch
langen Gang aneinandergereihter kleiner Räume, die größtenteils zerstört waren.
Sie waren so klein, dass in ihnen gerade ein Bett und ein kleines Schränkchen
Platz gefunden haben mochte.
»Das waren bestimmt die Zellen der Mönche.« Fleurs Stimme klang
fremd zu ihr herüber. Seit Onisha den Lapis um den Hals trug, zog ein warmer
Strom durch ihren Körper. Sie hatte schwören mögen, dass der Stein Energieschübe
durch ihren kleinen Katzenkörper schickte, denn sie fühlte sich so stark wie
noch nie. Sie hatten das Ende des Ganges erreicht und stießen einen erstaunten
Laut aus: Die letzte Zelle war völlig unversehrt. Wie ein Relikt, das vom Leben
der Mönche zeugte. Onisha wollte gerade neugierig, wie sie nun einmal war
eintreten, als Fleur neben ihr aufschrie. Und jetzt sah auch Onisha, was die
Freundin derart erschreckt hatte.
Auf der harten Pritsche lag ein großer, schwarzer Kater mit einer
klaffenden Halswunde, aus der dunkelrotes Blut sprudelte.
Das Tier röchelte qualvoll.
Fleur ging vorsichtig auf den Kater zu, der zusehends schwächer wurde.
»Wer bist du und wer hat dich so zugerichtet?«, fragte sie aufgeregt.
Der Kater öffnete das Maul, aber es kam nur ein kehliger Laut
heraus. Das geschundene Tier versuchte den Kopf zu heben, der merkwürdig hin-
und herpendelte, stieß ein dumpfes Gurgeln aus und sank in sich zusammen.
Blieb regungslos liegen.
Fleur fand erstaunlich schnell zu ihrer alten Schnodderschnauze
zurück. »Den hat es dahingerafft«, sagte sie pietätlos. »Ich fasse es nicht,
gibt den Löffel ab, bevor er uns sagen kann, wer ihm das Lebenslicht
ausgeblasen hat.«
Doch die forschen Reden vergingen ihr schlagartig und sie
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