Das Reich der Katzen (German Edition)
Reich der
Katzen. Vorausgesetzt, es existierte überhaupt. Seit sie den Katzenzirkel gesehen
hatte, war ihre innere Unruhe von Stunde zu Stunde gestiegen. Und damit war sie
nicht allein. Fleur ging es ebenso. Onisha hielt es nicht mehr in dem kleinen
Katzenrudel aus. Sie hatten beschlossen, so lange in den Ruinen des Klosters zu
bleiben, bis sich Rouven völlig erholt hatte und sie hinter das Geheimnis des
Mönchsordens gekommen waren. Und bis sie wussten, wie sie in das Reich der
Katzen gelangen konnten. Onisha konnte die Unruhe einfach nicht mehr ertragen.
»Ich mache einen kleinen Spaziergang«, flüsterte sie Fleur zu.
Die Falbkatze sprang sofort auf. »Ich begleite dich.«
Sie streiften eine Weile durch die Ruinen, ohne so recht zu
wissen, wohin sie gehen sollten und was sie eigentlich suchten. Einer
plötzlichen Eingebung folgend schlug Onisha den Weg zu dem Platz ein, auf dem
der Zirkel stattgefunden hatte. Tastend und taumelnd suchte sie sich ihren Weg
durch das zerfallene Bauwerk. Fleur folgte ihr stumm. Zwischen ihnen war eine
Art telepathisches Band entstanden. Mittlerweile verständigten sie sich ohne
viele Worte. Manchmal genügte sogar nur ein Blick. Ihre Verbundenheit gab dem
Wort Seelenschwestern eine völlig neue Bedeutung. Fleur spürte instinktiv im
selben Moment, wenn Onisha an etwas Besonderes dachte. Und umgekehrt. Als sich
das unsichtbare Band zwischen ihnen entwickelt hatte, war es Onisha anfangs
unangenehm gewesen. Sie hatte die ungewohnte Nähe zu Fleur als Eindringen in
ihre Intimsphäre, in ihr Innerstes, angesehen. Das Gefühl war für sie geradezu
bedrohlich gewesen. In der Zwischenzeit genoss sie diese Zweisamkeit. Es
bereicherte sie und machte sie beide stark.
Sie waren im Innenhof und an dem Brunnen angelangt, in dessen
unmittelbarer Nähe die nächtliche Zusammenkunft der Kater stattgefunden hatte.
Etwas lag noch in der Luft, das auch Fleur spürte. »Hier ist irgendetwas nicht
in Ordnung«, flüsterte sie.
Onisha fühlte es zwar auch, aber sie musste trotzdem über Fleurs
Gesichtsausdruck lachen. »Warum flüsterst du? Wir sind hier völlig allein.«
»Bist du sicher?«, wisperte Fleur zurück. »Ich habe da meine
Zweifel.«
Kälte stieg in Onisha auf. Fleur hatte Recht. Sie waren nicht
allein. Eine unsichtbare Macht wachte über sie und lenkte sie. Fragte sich nur,
welche. Du weißt es , wisperte die Stimme in ihr, die seit einigen Tagen
geschwiegen hatte. Onisha weigerte sich auf sie zu hören. Was weiß ich schon
groß, dachte sie missmutig, und das, was ich zu wissen glaube, entbehrt
jeglicher Logik. Es gibt keine unsichtbaren Mächte, die Einfluss auf uns
nehmen. Alles Mumpitz.
Fleurs Stimme durchbrach ihre Gedanken. »Da vorne liegt etwas!«
Onisha spähte in die Richtung, in die Fleurs Pfote zeigte. Und
richtig, an der Stelle, an der der Katzenzirkel stattgefunden hatte, schimmerte
etwas.
Es war ein Stein.
Fleur stupste ihn vorsichtig mit der Pfote an. Der Stein hing an
einer Silberkette, die die ungefähre Größe eines Katzenhalsbandes hatte. »Der
Lapis philosophorum«, hauchte Fleur, vollends ihres sonstigen Stimmvolumens beraubt.
»Der was?« Onisha kam sich wieder einmal ziemlich dämlich vor.
»Der Lapis, der Stein der Weisen. Er vermag Krankheiten zu
heilen, Weisheit zu schenken, ein langes Leben zu bewahren, ja sogar
Unsterblichkeit zu verleihen«, flüsterte Fleur fast tonlos.
»Unsterblichkeit«, murmelte Onisha nachdenklich. Doch eine
plötzliche Idee durchkreuzte den nicht ausgegorenen Gedanken. »Woher weißt du
das alles, Fleur?«
Fleur schüttelte verwundert den Kopf. »Keine Ahnung, ich weiß es
einfach. Frag mich nicht, woher. Mich interessiert im Moment auch viel mehr,
welcher der Knaben den Lapis verloren hat.«
»Meinst du, er gehörte einem der Kater?«
»Gute Frage. Ich glaube schon. Wenn Corey Recht hat und in den
Katzen die Seelen der Mönche schlummern, muss ein Magier unter ihnen sein. Nur
von ihm kann der Lapis sein.«
»Glaubst du wirklich, dass die Seelen der Mönche in den Katzen
weiterleben?«
Fleur nickte ernsthaft. »Corey sagte, es hätten in diesem Kloster
dreizehn Mönche gelebt und der Zirkel bestand ebenfalls aus dreizehn Katzen.
Nein, Katern. Das kann einfach kein Zufall sein. Und dann auch noch diese merkwürdigen
Gesänge.«
»Du hast Recht. Ich habe es bisher noch nicht gesagt, aber ich
meinte deutlich ERHÖRE UNS, OSIRIS gehört zu haben.«
»Und warum hast du das nicht schon früher verraten?«
»Ich kam mir
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