Das Reich der Katzen (German Edition)
sich eine dunkle
Wolke wie eine bleischwere Last auf sie legte. Dann tauchten Gestalten auf. Menschenköpfe
mit Tiergeweihen, verkrüppelte Gestalten, ausgemergelte Typen. Onisha wollte
alldem entfliehen. Sie hatte Angst und fühlte, dass sie fiel. Immer tiefer,
immer schneller, je mehr die Angst sich in ihr ausbreitete, tauchte sie in
tiefe Dunkelheit.
Als sie wieder erwachte, brummte ihr der Schädel. Sie hatte das
Gefühl, wieder einmal geträumt zu haben. Oder träumte sie immer noch? Sie
blickte sich vorsichtig um, und als sie keinen ihrer Freunde erblickte, wusste
sie, dass sie sich noch irgendwo in ihrer Traumwelt befand. Vielleicht schon im
Tal der Träume.
Da waren zwei Augen. Zwei feurige Augen, die Onisha anstarrten.
Sie gehörten zu einem Katzengesicht von reiner, orientalischer Schönheit. Es
wurde von diesen kalten seelenlosen Augen beherrscht. In ihnen funkelten aberhundert
Sterne.
Onisha wusste sofort, dass sie Lavina vor
sich hatte. Lavina erinnerte sie an eine Abessinierin. Schlank, mit rotem Fell,
das einen Schimmer Braun trug, überragte sie Onisha mit ihrer riesenhaften
Gestalt. Ihre Ausstrahlung war von berückender Schönheit. Aber das täuschte
nicht über ihren wahren Charakter, der wie eine Bedrohung im Raum schwebte,
hinweg. Lavina hatte ein schönes Antlitz, eine wunderbare Gestalt, aber ihr
Herz war hochmütig und schlecht. Sie freute sich, wenn sie andere beherrschte
und ihnen Schmerz zufügen konnte. Sie war eine dieser Untoten. Aber sie
brauchte kein Blut, sie stahl ihren Opfern die Seele.
Lavina sah Onisha unverwandt an und ihre Augen waren kalt wie
Eissplitter. Onisha fröstelte. Ein Gefühl der Lähmung überkam sie. Schon allein
Lavinas Blick konnte dem Opfer die lebensspendende Wärme entziehen. Dessen
Seele auf Eis legen. Onisha hatte noch nie ein Lächeln gesehen, das sie so sehr
frieren ließ.
»Ich habe schon auf dich gewartet und bin erfreut, dich zu sehen,
Onisha.« Lavina zeigte ihr Lächeln, bei dem sich jedes einzelne Haar an Onishas
Körper sträubte. »Es wurde auch allmählich Zeit, dass wir uns endlich begegnen.«
Onisha hielt Lavinas Blick mutig stand und nickte widerstrebend.
Sie wunderte sich, woher sie die Ruhe und vor allem die Selbstsicherheit nahm.
»Es wurde wirklich Zeit«, sagte sie leise.« Du hast schon zu viel Unheil angerichtet!«
Lavina lachte kalt. »Und du gedenkst mich daran zu hindern?«,
fragte sie und Onisha hörte aus ihrer Stimme deutlich, wie amüsiert die
Magierin war.
»Ich werde es zumindest versuchen«, erwiderte Onisha ernsthaft.
Lavinas Blick streifte sie mit eisiger Verachtung. »Was willst du
mir schon entgegenhalten, verwöhnte Göre?«
Onisha schwand der Mut. Da war wieder die hämisch flüsternde
Stimme in ihr. Gibst du schon auf?, wisperte sie. Dachte ich es mir. Du bist
eine Jammergestalt! Aber da war auch wieder das geflüsterte Sachmet,
Sachmet. Und mehr noch: Du hast die Kraft der Sachmet. Gebrauche sie!
Onishas Körper reckte sich. »Warte es ab!«, sagte sie. Sie wußsse
nicht, wie sie es schaffte, so viel Überzeugung in ihre Stimme zu zaubern, aber
sie war plötzlich wieder da.
Lavinas schräg gestellte Augen musterten sie. »Gut«, sagte sie,
aber es klang keineswegs zufrieden. »Ich zeige dir erst einmal meine
Wirkungsstätte, damit du weißt, mit wem du dich eingelassen hast.«
»Das weiß ich bereits: mit einer machtbesessenen Mörderin!«
Onishas Stimme klang schneidend und schuf eine Grenze zwischen ihnen. Zerstörte
den Plauderton. Sie sollten nicht so einträchtig miteinander reden.
Lavina stutzte, dann brach sie in schallendes Gelächter aus. »Du
machst mir wirklich Spaß! Mehr als ich mir jemals hätte träumen lassen.« Ihre
Augen verengten sich. »Doch genug geredet, jetzt lass uns gehen!«
Das Tal der Träume unterschied sich nicht wesentlich von der
realen Welt. Lavina führte Onisha durch einen dichten Wald. Als die Bäume zurückwichen
und den Blick auf Lavinas Behausung freigaben, stieß Onisha einen heiseren
Schrei aus. Sie standen vor einer gigantischen Pyramide aus Kalksteinblöcken,
deren Eingang aus polierten Granitplatten bestand. Eine steinerne Treppe führte
hinauf.
Lavina stieß einen kehligen Laut aus. Ein einziger hastig
hervorgestoßener Befehl und eine der riesigen Steinplatten fuhr geräuschvoll
nach oben. »Folge mir«, befahl Lavina.
Onisha trippelte hinter der Großkatze her. Vorsichtig sah sie
sich um. Doch in dem großen Raum, in dem sie sich jetzt befanden, war
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