Das Reich der Traeume
kannst du mir jetzt ja erzählen, was du über mein Problem mit den Träumen herausgefunden hast.«
Sie steht auf und geht im Zimmer auf und ab. Während sie spricht, kaut sie an den Fingernägeln.
»Also, hör zu! Ich hab noch mal über das nachgedacht, was mit dir passiert ⦠Und ich glaube, dass das alles miteinander zusammenhängt, dass alles in Beziehung zueinander steht.«
»Hat es was damit zu tun, dass du ein Mädchen bist und ich ein Junge bin?«
»Red keinen Unsinn und hör zu! Es gibt einen Zusammenhang zwischen deinen Träumen und den Buchstaben auf deiner Haut. Ich bin mir fast sicher, dass das eine etwas mit dem anderen zu tun hat. Oder besser gesagt, dass das eine die Folge des anderen ist.«
»Ach nein! Dann träume ich also, weil ich den Körper voller Buchstaben habe?«
»Die Buchstaben bewirken, dass du träumst, ja. Sie beeinflussen deine Träume, so als wären es Szenen eines Films. Die Buchstaben haben magische Kräfte! Sie zwingen dich zu träumen!«
Ich bin verwirrt.
»Also, Metáfora, du bist zu dem Schluss gekommen, dass die Buchstaben mich zwingen zu träumen, weil sie magische Kräfte haben?«
»Ganz genau.«
»Aber wie kann die Tochter einer Lehrerin, ein Mädchen wie du, das viel liest und versteht, was in der Welt vor sich geht, wie kann jemand wie du an Magie glauben? In der Wirklichkeit gibt es keine Magie. Sie ist Teil unserer Fantasie, mehr nicht. Magie hat es noch nie gegeben!«
»Ich weiÃ, dass es keine Magie gibt! Natürlich weià ich das!«
»Und warum willst du mich dann davon überzeugen, dass ich ihr Opfer bin? Dass ich in einem magischen Kreis gefangen bin, aus dem ich mich nicht befreien kann? Wahrscheinlich weil du dir sicher bist, dass ich die Buchstaben niemals loswerde!«
Ich sehe, dass meine Worte sie überrascht haben. Sie schweigt, ihr fällt keine passende Antwort ein. Wenn es stimmt, dass Mädchen sensibler sind als Jungen, muss sie sich jetzt bei mir entschuldigen.
»Hör zu, Arturo, es tut mir leid, wirklich«, murmelt sie. »Ich wollte dich nicht verletzen und dir die Hoffnung nehmen, irgendwann einmal ein ganz normaler Junge zu sein ⦠Ich meine, ein Junge ohne Buchstaben auf dem Körper und ohne Drachenkopf auf der Stirn. Ich wollte dir nur offen sagen, was ich denke.«
»Ist schon gut. Egal, vielleicht hast du ja recht und ich bin verhext. Deswegen solltest du dir besser andere Freunde suchen, sonst stecke ich dich womöglich noch an.«
Sie kniet sich vor mich hin und knöpft mein Hemd auf. Dann streicht sie mit der rechten Hand langsam über die Buchstaben.
»Ich möchte mich bei dir anstecken. Ich möchte so sein wie du. Ich möchte mit dir verschmelzen. Ich möchte deine beste Freundin sein.«
Mein Herz hat angefangen zu rasen. Metáfora hat mir soeben bewiesen, dass Mädchen tatsächlich sensibler sind, als ich gedacht habe.
III
Das Herz der Königin
D er Wind strich durch das blonde Haar der Königin. Sie stand oben auf dem höchsten Turm ihres Schlosses und beobachtete eine Gruppe von Reitern, die sich der Zugbrücke näherte. Ihr Blick ruhte auf einem Mann mit langem Haar, der die Tunika eines Alchemisten trug, ähnlich einer Mönchskutte. Die Gestalt erinnerte sie an bessere Zeiten.
Als die Wachen die Ankunft der Reiter meldeten, füllte sich ihr Herz mit Freude. Sie hatte Arquimaes Jahre zuvor kennengelernt, und nun, nach so langer Zeit, würde sie ihn endlich wiedersehen â und seine Stimme hören, die ihr das Leben gerettet hatte. Von diesem Wiedersehen hatte Ãmedi all die Jahre geträumt.
Sie hatte den Alchemisten nie vergessen. Ihr Herz schlug schneller, als sie den ehemaligen Mönch näher kommen sah. So oft hatte sie diesen Moment herbeigesehnt, dass es ihr jetzt wie ein Wunder erschien. Mehr als einmal hatte sie daran gezweifelt, dass sie ihm je wieder begegnen würde; doch nun kam er zu ihr wie ein fahrender Ritter.
Arquimaes war ebenso gerührt wie sie, als er ihre zarte Gestalt erblickte, die sich gegen den blauen Himmel abhob. Auch er hatte die anmutige Ãmedi mit den hellen, fast durchscheinenden Augen nicht vergessen.
»Weiter können wir Euch nicht begleiten«, sagte der Anführer der Eskorte. »Wir haben unsere Aufgabe erfüllt, jetzt müssen wir zurückkehren, um Reynaldo, unserem neuen Herrn, zu
Weitere Kostenlose Bücher