Das Reich der Traeume
Behandlung fortsetzt. Und du sollst alles mitbringen, was du über deine Träume aufgeschrieben hast. Ach ja, ich hab übrigens ziemlich coole Fotos von unserem Besuch im Keller gemacht! Am besten, wir treffen uns bei dir zu Hause, dann zeig ich sie dir. Du wirst staunen!«
Horacio beobachtet mich von seinem Platz aus, ein seltsames Grinsen auf den Lippen. Bestimmt macht er sich mal wieder mit seinen Freunden über uns lustig.
* * *
Nach dem Unterricht sind Metáfora und ich in die Stiftung gegangen, um gemeinsam zu überlegen, was wir jetzt tun sollen. In der Schule wissen inzwischen alle, dass Mercurio im Gartenhäuschen Objekte aus dem Mittelalter gefunden hat und dass mein Vater sie in der Stiftung aufbewahren und eine Ausstellung organisieren möchte. Erstaunlich, in welcher Windeseile sich solche Neuigkeiten verbreiten.
Horacio brüstet sich damit, dass er mich vernichtend geschlagen habe. Er erzählt überall herum, dass ich ein Dämon sei, besessen von dem Drachen auf meiner Stirn. Ich weià nicht, was er mit so einem Blödsinn bezweckt, aber ich fürchte, das bedeutet nichts Gutes.
»Ich habe das Gefühl, dass bei eurer Prügelei etwas passiert ist, das du mir verheimlichst«, sagt Metáfora und zeigt auf die Zeichnung auf meiner Stirn. »Horacio behauptet, der Drache hätte sich bewegt. Genau dasselbe hat auch JazmÃn gesagt.«
»Ich hab dir doch schon tausendmal erklärt, dass das reine Fantasie ist! Eine Tätowierung kann sich nicht bewegen. Das wäre ja Hexerei.«
»Oder Magie. Genauso wie die Buchstaben, die auf deinem Körper auftauchen und verschwinden, wie sie wollen. Sag mir die Wahrheit, ich erzähle es auch keinem weiter. Du weiÃt, dass du mir vertrauen kannst.«
»Um ehrlich zu sein, ich hab nichts davon mitgekriegt, wirklich nicht. Die beiden behaupten, dass sich der Drachenkopf bewegt hat, aber ich kann nichts dazu sagen. Ich habe es einfach nicht gesehen!«
»Schwörst du, dass nichts passiert ist?«
Ich weiche ihrem Blick aus und senke den Kopf. Ich schaffe es nicht, abzustreiten, was ich schon seit einigen Tagen vermute. Es könnte sein, dass der Drachenkopf auf meiner Stirn für einen kurzen Augenblick lebendig geworden ist â und es könnte auch sein, dass er sich dabei in etwas Gefährliches verwandelt hat, in etwas Lebensgefährliches â¦
»Ich habe so etwas wie ein Brausen gehört, mehr weià ich nicht. Aber gesehen hab ich nichts.«
»Du musst mit jemandem darüber reden, Arturo. Wenn es stimmt, dass das Ding da lebt, dann kann es sehr gefährlich werden. Stell dir mal vor, das passiert nachts, wenn du schläfst ⦠Oder wenn du wieder von jemandem angegriffen wirst. Denk mal an die Folgen!«
»Mit wem soll ich denn darüber sprechen? Wem kann ich vertrauen? Wer hört sich überhaupt so einen Unsinn an, ohne mich gleich für verrückt zu erklären?«
»Red mit Cristóbals Vater. Er ist der Einzige, der dir eine vernünftige Erklärung dafür geben kann. Schreibâs auf, das ist leichter.«
»Ich möchte dir etwas zeigen«, sage ich und schalte den Computer ein. »Ein Foto, das ich im zweiten Keller gemacht habe. Hier â¦Â«
Ich zeige ihr das Bild von dem Alchemisten, der einem Mann etwas auf die Stirn schreibt. Der kleine Raum, in dem er arbeitet, wird nur schwach von einer Kerze beleuchtet. Ich zoome das Gesicht des Mannes heran. Jetzt sehe ich, dass es sich nicht um einen Mann, sondern um einen Jungen in meinem Alter handelt. Man kann die Zeichnung auf seiner Stirn nicht genau erkennen, aber sie scheint meiner sehr ähnlich zu sein. Auf dem Tisch steht ein Tintenfass und der Alchemist hält eine Schreibfeder in der Hand.
»Das bedeutet gar nichts. Es ist nur eine mittelalterliche Zeichnung, die vielleicht â¦Â«
»Und wenn es so etwas Ãhnliches ist wie das, was Schliemann als kleiner Junge gesehen hat? Wenn diese Zeichnung nicht der Fantasie eines Künstlers entsprungen ist, sondern etwas darstellt, was wirklich geschehen ist? So wie die Zeichnung von Troja?«
»Und was hat das mit dir zu tun?«, fragt sie.
»Ich bin mir nicht sicher, aber ich habe das Gefühl, ich bin der Junge, der da sitzt.«
»Also hör mal, Arturo ⦠Jetzt redest du wirklich Schwachsinn. Hast du irgendwann mal so eine Szene geträumt?«
»Nein, noch nie.«
»Dann hör auf damit.
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