Das Reich der Traeume
überlegt er es sich anders.
»Los, komm, trinken wir was«, schlägt er vor. »Ich lade dich ein.«
»Aber â¦Â«
»Leiste mir ein bisschen Gesellschaft. Los, komm schon!«
Er humpelt in eine enge Gasse und ich folge ihm. Vor einer zwielichtigen Kneipe, aus der es nach billiger Pizza riecht, bleibt er stehen. Wir gehen hinein und setzen uns an einen der hinteren Tische.
»Bestell mir ein Bier und für dich irgendwas, was du willst«, sagt Hinkebein. »Hier bin ich zu Hause.«
Ich stehe auf und gehe an die Theke. Der Kellner stellt mir ein Bier und einen Milchkaffee hin.
»Hier, für dich«, sage ich und knalle das Bier vor ihm auf den Tisch. »Ich finde, du hast heute schon genug getrunken.«
»Genug? Ich habe genug getrunken?«, lacht er. »WeiÃt du eigentlich, was das ist? Du hast mich nicht in meinen besten Zeiten erlebt!«
»Betrinkst du dich öfter?«
»Was glaubst du, mein Freund, wie ich das alles ohne Alkohol ertragen sollte? Wie soll ich denn sonst mein Gewissen zum Schweigen bringen?«
Ich reiÃe das Zuckertütchen auf und warte eine Weile, bevor ich frage: »Hast du denn einen Grund für ein schlechtes Gewissen? Hast du was getan, was du bereust?«
»WeiÃt du, du beschwerst dich darüber, dass andere über den Drachen auf deiner Stirn lachen. Aber ich würde ehrlich gesagt gerne mir dir tauschen. Sofort! Narben, die nicht sichtbar sind, tun mehr weh als die, die man sieht, das kannst du mir glauben.«
Ich rühre mit dem Löffel in meinem Kaffee herum.
»Ich weiÃ, dass dich irgendwas aus der Bahn geworfen hat«, sage ich. »Aber ich will mich nicht in deine Angelegenheiten einmischen.«
»Mann, erst schleichst du mir nach und dann sagst du so was! Schon witzig. Jetzt musst du dir auch meine Geschichte anhören, Junge. Die Geschichte eines Archäologen, der aus der Bahn geworfen wurde, weil ⦠Na ja, weil er eine falsche Entscheidung getroffen hat.«
»Du musst nicht, wenn du nicht willst«, sage ich.
»Erinnerst du dich an das, was ich dir mal erzählt habe? Wie ich meine Arbeit verloren habe?«
»Ja, daran erinnere ich mich. Aber ich glaube nicht, dass es deine Schuld war.«
»Was damals passiert ist, war einzig und allein meine Schuld.«
Ich trinke einen Schluck und warte darauf, dass er anfängt zu erzählen.
»Wie gesagt, alles begann damit, dass wir eine Festungsanlage ausgegraben haben. Wir waren schon sehr tief vorgedrungen. Einige meiner Mitarbeiter standen auf dem Gerüst. Ich als leitender Archäologe hatte Anweisung gegeben, die Gegenstände zu sichern, die gefunden wurden. Und es waren viele. Dann, eines Tages, stieÃen wir auf einen unterirdischen Gang, der in sehr schlechtem Zustand war. Es bestand Einsturzgefahr. Meine Mitarbeiter machten mich darauf aufmerksam, dass es sehr gefährlich sei, weiter in den Gang vorzudringen, ohne die Wände zu stützen. Aber ich fand, wir dürften keine Zeit verlieren und sie sollten ruhig tiefer hineingehen, es würde schon nichts passieren. Als sie sich weigerten, drohte ich ihnen damit, sie auf der Stelle zu entlassen. âºWenn ihr zu feige seidâ¹, sagte ich zu ihnen, âºdann sucht euch einen anderen Job!â¹
Wie konnte ich nur so was sagen! Drei von ihnen folgten meinen Anweisungen und betraten den unterirdischen Gang. Eine Stunde später stürzte er ein. Wir haben sie niemals lebend wiedergesehen. Und das durch meine Schuld!«
»Wusstest du denn nicht, dass so etwas passieren konnte?«, fragte ich. »Hast du das Risiko falsch eingeschätzt?«
»Wenn du in dem Beruf Erfolg haben willst, denkst du nicht an die Risiken. Du hast nur den Triumph im Kopf. Ich habe einen schwerwiegenden Fehler gemacht. Drei Menschen haben wegen meinem Ehrgeiz ihr Leben verloren.«
»Und was geschah danach?«, fragte ich weiter.
Er nimmt einen groÃen Schluck und das Bier rinnt ihm übers Kinn. Er wischt sich mit dem Ãrmel über die Lippen und fährt fort: »Ich wurde entlassen und vor Gericht gestellt. Drei Jahre Gefängnis haben sie mir gegeben. Nach meiner Entlassung landete ich auf der StraÃe. Und da bleibe ich, bis ich sterbe.«
Mir fehlen die Worte. Die Geschichte ist so heftig, dass ich nicht weiÃ, was ich dazu sagen soll.
»Das kommt davon, wenn man sich in das Leben anderer Leute einmischt, Arturo. Aber jetzt weiÃt du, wer ich
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