Das Reich des dunklen Herrschers - 8
hatte nicht die leiseste Ahnung, was Jagang mit diesem Schachzug bezweckte.
»Was steht in dem Brief?«, fragte Verna, während sie zum Kommandozelt hinübereilten.
Unmittelbar vor dem Zelt blieb General Meiffert zögernd stehen und sah Verna, während er mit dem Daumen über einen der Messingknöpfe an seiner Uniformjacke rieb, in die Augen. »Es wäre mir ganz lieb, wenn Ihr ihn selbst lesen würdet, Prälatin. In einigen Punkten ist er recht unmißverständlich; andere dagegen … nun, ich hatte gehofft, Ihr würdet es mir vielleicht erklären können.«
Als sie in das Zelt trat, sah Verna Captain Zimmer bereits an der Seite warten. Von dem gewohnten ansteckenden Lächeln, das den Mann mit dem markanten Kinn sonst auszeichnete, war nichts zu sehen. Der Captain war Befehlshaber der d’Haranischen Spezialtruppen, einer Einheit, deren Aufgabe es war, Tag und Nacht heimlich auf feindliches Gebiet vorzudringen und so viele Gegner wie möglich zu töten. Der Vorrat schien unerschöpflich; dessen ungeachtet schien der Captain fest entschlossen, ihn bis zur Neige aufzubrauchen.
Plötzlich blitzte es, und alle hoben kurz den Kopf; das Unwetter kam offenbar näher. Nach einer kurzen Verzögerung erbebte der Erdboden unter dem lang anhaltenden Donnergrollen.
General Meiffert nahm ein kleines, zusammengefaltetes Stück Papier vom Tisch und reichte es Verna.
»Dies ist der Brief, den das Mädchen bei sich hatte.«
Nach einem kurzen Blick in die grimmigen Mienen der beiden Offiziere faltete Verna das Blatt Papier auseinander und las den in säuberlicher Handschrift abgefaßten Text:
Ich habe Zauberer Zorander sowie eine Hexenmeisterin namens Adie in meiner Gewalt; zudem bin ich im Besitz der Burg der Zauberer mit allem, was sich darin befindet. Mein Schleifer wird mir in Kürze Lord Rahl und die Mutter Konfessor übergeben.
Eure Sache ist verloren. Im Falle einer sofortigen Kapitulation und der Freigabe der Pässe werde ich Eure Truppen verschonen. Andernfalls werde ich sie bis zum letzten Mann töten.
Gezeichnet: Jagang der Gerechte.
Sie ließ den Arm mit dem Blatt Papier in ihren zitternden Fingern sinken.
»Gütiger Schöpfer«, entfuhr es Verna leise. Ihr schwindelte.
Rikka riß ihr den Zettel aus der Hand, kehrte ihr den Rücken zu und las ihn durch. Sie stieß einen leisen Fluch aus.
»Wir müssen ihn dort herausholen«, erklärte Rikka. »Wir müssen Zedd und Adie aus der Gewalt Jagangs befreien.«
Captain Zimmer schüttelte den Kopf. »Ein solches Vorhaben ist völlig undurchführbar.«
Rikkas Gesicht wurde rot vor Zorn. »Er hat mir das Leben gerettet! Und Euch auch! Wir müssen ihn dort rausholen!«
Anders als die aufgebrachte Rikka war Verna um einen milderen Ton bemüht. »Was Zedd betrifft, empfinden wir wohl alle das Gleiche; wahrscheinlich hat er jedem von uns bereits mehrfach das Leben gerettet. Bedauerlicherweise wird Jagang ihn aus ebendiesem Grund nur noch übler mißhandeln.«
Rikka fuchtelte mit der Nachricht vor ihren Gesichtern. »Also lassen wir ihn einfach dort krepieren? Wir sollen zulassen, daß Jagang ihn umbringt? Schleichen wir uns heimlich ein, was auch immer!«
Captain Zimmer legte den Handballen auf das lange Messer an seinem Gürtel. »Herrin Rikka, angenommen, ich verrate Euch, daß ich hier irgendwo in diesem Lager einen Mann versteckt habe, und ließe Euch, ohne daß Euch jemand behelligt oder irgendwelche Fragen stellt, ungehindert nach ihm suchen, wie lange würdet Ihr wohl brauchen, um ihn zu finden?«
»Aber man wird sie nicht in irgendeinem xbeliebigen Zelt untergebracht haben«, gab Rikka zurück. »Nehmt zum Beispiel uns. Als die Nachricht eintraf, wurde sie da in irgendein beliebiges Zelt dieses Lagers gebracht? Nein, sie gelangte an exakt die Stelle, wo man sich mit derartigen Dingen befaßt.«
Captain Zimmer deutete mit ausgestrecktem Arm auf den Feind jenseits des Gebirges. »Ich war schon so oft im Lager der Imperialen Ordnung, daß ich es kaum noch zählen kann,«, sagte er. »Ich glaube, Ihr macht Euch völlig falsche Vorstellungen von der ungeheuren Größe ihres Feldlagers. Millionen von Kriegern lagern dort.
Das ganze Feldlager ist ein einziger von Halsabschneidern bevölkerter Sumpf, in dem das blanke Chaos regiert. Genau diese heillose Unordnung ermöglicht es uns ja, unbemerkt hineinzuschleichen, ein paar von ihnen zu töten und gleich darauf wieder abzutauchen. Es ist ganz sicher kein Ort, an dem man länger verweilen möchte. Fremde fallen dort
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