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Das Reich in der Tiefe

Das Reich in der Tiefe

Titel: Das Reich in der Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Koch
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dieser eigentlichen Nordwand kletterte Rocco mit seinen Helfern herum, wiederholte und prüfte nach, was sein Vorgänger mit kleinen Gesteinssprengungen und Geräten, die nach Art des Echolotes arbeiteten, ermittelt hatte, und fand im Laufe der Monate noch aussichtsreichere Stellen. Jede Messung wurde auf ein Gipsmodell übertragen. Auf diese Weise entstand ein räumliches Abbild des Mittelabschnitts der nördlichen Höhlenwand. Nach einem Jahr sandte er lichttelegraphische Nachricht nach Atakor, um eine Entscheidung über seine weitere Arbeit herbeizuführen. Es kam Bescheid, er solle Seine Königliche Hoheit, den Kronprinzen Ayor Tupac, persönlich erwarten.
    Rocco holte ihn von der Schwebebahn ab und führte ihn durch das wohlangebaute, mit zahlreichen Gartensiedlungen bedeckte Land zu seiner Hütte am Fuß des Gebirges.
    „Nun, Freund“, fragte der Kronprinz, „wie steht es mit Ihrer Arbeit, und welche Entscheidung wollen Sie von mir haben?“
    Statt einer Antwort zeigte Rocco seinem hohen Gast das Gipsmodell.
    „Hier ist das Abbild des Mittelstücks der nördlichen Höhlenwand, Königliche Hoheit“, erklärte er.
    „Das ist ja ein sonderbares, unregelmäßiges Gebilde.“
    „In der Tat. Es gibt nicht bloß die vordere sichtbare Fläche der Nordwand wieder, sondern stellt auch die unsichtbare rückwärtige dar. Mit anderen Worten: Unsere Höhle setzt sich jenseits fort, vermutlich in voller Breite, dies ist das Ergebnis meiner Lotungen. Die gesamte Nordwand ist ein Block aus Basalt, der beim Zusammenziehen des Erdkerns die Absinkbewegung unseres Höhlenbodens nicht mitgemacht hat und als trennende Mauer stehenblieb.“
    „Eine umstürzlerische und ketzerische Weltentstehungstheorie, die Sie lieber nicht dem Hohen Rat vortragen – aber fahren Sie fort!“
    „Das Mittelstück der Mauer ist am Fußpunkt 20 Kilometer breit, doch an der Höhlendecke nur drei Kilometer, sehr viel Material ist nachträglich noch abgerutscht und bildet die Geröllhalden und Vorberge. Schon Professor Yahuar fand einen Bereich, in dem die Scheidewand nur einen Kilometer dick ist, wir aber haben eine noch dünnere Stelle entdeckt. Hier in 500 Metern Wandhöhe ist das sonderbare Gebiet. Dort befindet sich ein Stock weicheren Gesteins, das durch Druck und Erdbewegungen zertrümmert und vom Wasser ausgewaschen wurde. So kommt es, daß darüber der Basalt überhängt. In einer beträchtlichen Flächenausdehnung ist die Scheidewand durchschnittlich 300 Meter, an der dünnsten Stelle nur 100 Meter stark!“
    „Dann sprengen Sie doch einen Tunnel hindurch!“
    „Gewiß, ich will einen Durchstich ansetzen, um erst einmal festzustellen, wie es jenseits aussieht, ob die Luft ebenso dicht und ebenso zusammengesetzt ist wie bei uns!“
    „Also tun Sie das, Rocco! Warum fragen Sie mich denn erst?“
    „Weil es nicht ganz ungefährlich ist. Der Luftdruck könnte drüben sehr andersartig sein.“
    „Können Sie das Risiko denn nicht vermindern?“
    „Sicherlich, es bietet keine besonderen Schwierigkeiten!“
    „Dann viel Glück! Halten Sie mich immer lichttelegraphisch auf dem laufenden!“
     
    *                     *
    *
     
    Nun mußte es bald geschafft sein. Vorsichtig, mit schwachen Sprengladungen, erschütterte Rocco das Gestein, ließ den gelockerten Fels losschlagen und entfernen. Nach drei Wochen war der Tunnel so weit vorgetrieben, daß es bereits hohl klang, wenn man mit einem Werkzeug gegen die trennende Wand klopfte.
    Eines Morgens war der große Augenblick gekommen. Rocco, der zwei Nächte nicht geschlafen hatte und immer persönlich an der Arbeitsstelle war, setzte einen starken Meißel an, tat mehrere wuchtige Schläge mit einem großen Hammer – und ein armdickes Loch in eine fremde Welt war freigelegt. Er streckte seinen Arm hindurch. Kein Luftzug war zu spüren, was dafür sprach, daß beiderseits der trennenden Gebirgswand die gleichen Luftdruckverhältnisse herrschten. Rasch war das Loch erweitert, bis Rocco hindurchkriechen konnte. Nicht anders als im Land Cheti leuchtete die ungeheuere unterbrochene Wölbung der hellrot glühenden Höhlendecke über der sich in die Ferne erstreckenden Landschaft mit dichtem Dschungel, strömenden Bächen, einem See am rot verdämmernden Horizont. Mit einem Blick war zu erkennen, daß dieses Land nie von eines Menschen Fuß betreten wurde, kein Haus, kein Weg war zu sehen. Rocco rief zurück: „Sofort ein Bote zur Lichtstation, melden, was wir eben erlebt

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