Das Reisebureau Thompson und Comp.
Ferne gesehen, liebliche Dörfer: Machico, Santa-Cruz, Canizal, die Morgan im Vorüberfahren nannte.
Um vier Uhr erhob sich vor dem Fahrzeuge ein andres Kap, das »Cap Garajao«. Wenige Schraubenumdrehungen genügten, es zu umschiffen, und kurze Zeit darauf ankerte die »Seamew« auf der Reede von Funchal, inmitten einer zahlreichen Flotte, an deren Masten die Flaggen aller Nationen wehten.
Dreizehntes Kapitel.
Die Lösung eines Anagramms.
Neunhundert Kilometer von der nächsten Spitze Europas, siebenhundert von Marokko, vierhundert vom Archipel der Kanarischen Inseln, und durch vierhundertsechzig Seemeilen von dem zu den Azoren gehörigen Santa Maria getrennt, erstreckt sich Madeira über eine Länge von siebzig Kilometern, fast auf dem Schnittpunkt des dreiunddreißigsten Grades nördlicher Breite und des neunundzwanzigsten Grades westlicher Länge.
Eine großartigere Oase in der Sahara des Meeres kann man sich kaum vorstellen.
Von der Gebirgskette, deren höchster Kamm bis neunzehnhundert Meter nahe an der Nordküste der Insel hinausreicht und deren riesiges Rückgrat er bildet, zweigen sich Nebenketten wie Zuflüsse dieses Gipfelstromes ab. Gegen Norden einerseits und gegen Süden anderseits durch tiefe Täler mit der herrlichsten Vegetation erfüllt, endigen sie im Meere, in das sie wie Zähne hinausragen.
Starr und eigensinnig erscheinen die Küsten dieser Königin des westlichen Atlantischen Ozeans, so, als hätte sie ein riesiges Locheisen ausgeschnitten. Mit einem einzigen Stoße haben sie plutonische Kräfte in weitentlegner Vorzeit aus den Wassern herausgehoben, die rings um sie eine Tiefe von vier Kilometern haben.
Und dennoch bietet die Insel, trotz der wilden Felsmassen, die mit viel farbigen Tuffsteinen geschmückt sind, trotz ihrer starken Bodenverschiedenheiten einen reizend schönen Anblick. Ein unvergleichlicher Mantel von Grün, der die zu scharfen Ecken mildert, die zu spitzen Gipfel abrundet, reicht bis zum äußersten Uferrande herunter.
Auf keinem andern Punkte der Erde entwickelt die Vegetation eine solche Kraft, einen solchen Reichtum. Auf Madeira werden unsre Sträucher zu Bäumen und unsre Bäume erreichen kolossale Größenverhältnisse. Hier noch mehr als auf den Azoren finden sich die Gewächse der verschiedensten Klimate. Blumen und Früchte von allen fünf Erdteilen gedeihen hier in üppigster Fülle. Die Wege sind mit Rosen eingezäunt, und man braucht sich nur zu bücken, um zwischen den Grashalmen Erdbeeren pflücken zu können.
Was mußte diese paradiesische Insel erst zur Zeit ihrer Entdeckung gewesen sein, als die Bäume, die heute jung sind, damals aber Jahrhunderte alt waren, die Berge mit ihrem riesigen Gezweig überragten! Die ganze Insel war damals nur ein ungeheurer Wald, der für die Kultur keinen Fuß breit Erde freiließ, und der erste Gouverneur sah sich deshalb genötigt, das undurchdringliche Dickicht durch Feuer zu zerstören. Die Chronik berichtet, daß der Brand jener Zeit sechs Jahre hintereinander gewütet habe, und man behauptet, daß die Fruchtbarkeit des Bodens von der vielleicht nötigen, aber doch barbarischen Zerstörung herrühre.
Abgesehen von allem andern, ist es aber sein herrliches Klima, dem Madeira seine überreiche Vegetation verdankt. In dieser Beziehung kann kaum ein andres Land mit ihm verglichen werden. Im Sommer weniger warm als die Azoren und im Winter weniger kalt als diese, wechselt die Temperatur kaum um zehn Zentigrade. Hier ist das Paradies der Kranken.
Anfang Winters kommen sie auch in großen Scharen hierher, vorzüglich Engländer, die ihre Gesundheit unter dem milden, azurblauen Himmel wieder erlangen wollen. Dadurch fließen den Bewohnern Madeiras jährlich mindestens drei Millionen Francs zu, während die Gräber, für die, die nicht mehr heimkehren, aus Madeira – nach einer etwas starken Bezeichnung – »den größten Friedhof von London« gemacht haben.
An der Südküste der Insel und unmittelbar am Meer erhebt sich die Hauptstadt Funchal. Tausend Schiffe ankern jährlich auf ihrer offnen Reede und zahllose Fischerbarken durchkreuzen diese, am Tage mit den weißen Punkten ihrer Segel, in der Nacht mit dem täuschenden Köder ihrer Lichter.
Kaum hatte sich der Anker der »Seamew« in den Grund eingesenkt, als das Schiff schon von einer Menge von halbnackten Kindern geführten Booten umschwärmt wurde, von Kindern, deren gleichzeitiges Geschrei ein wirkliches Höllenkonzert bildete. In ihrem anglo-portugiesischen
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