Das Reliquiar
blieben nur die Ritter des Heiligen Johannes von Jerusalem übrig, auch bekannt unter dem Namen Hospitaliter oder Johanniter. Nachdem sie gezwungen gewesen waren, ihre Bastionen im Heiligen Land aufzugeben, hatten sie sich auf Rhodos niedergelassen und dabei eine Veränderung erfahren, durch die sie von Kämpfern auf dem Land zu Soldaten des Meeres wurden. Diese Verwandlung war ein voller Erfolg. Sie flößten ihren Gegnern solche Angst ein, dass der Sultan beschlossen hatte, sie auch von Rhodos zu vertreiben, aber über lange Zeit hinweg waren seine
Schiffe nicht einmal in der Lage, sich der Insel zu nähern.
Doch selbst so ausdauernde und entschlossene Männer konnten dem Druck der Türken nicht bis in alle Ewigkeit standhalten. Die Verteidigung des Mittelmeers war sehr aufwändig. Die Befestigung der Insel und des Hafens erforderte kontinuierliche Instandhaltungsarbeiten. Moderne Waffen waren nötig, um den neuen Erfordernissen von Verteidigung und Angriff gerecht zu werden. Jedes verlorene Schiff musste ersetzt, das neue musste bewaffnet und mit einer Besatzung ausgestattet werden. Aus diesem Grund hatten der Großmeister und die höchsten Repräsentanten des Kapitels beschlossen, sich mit einem Hilferuf an Genua zu wenden.
Der Großmeister und seine Kommandeure hatten sich im Kapitelsaal versammelt und berieten dort, wer mit einer so wichtigen und schwierigen Mission beauftragt werden solle. Es standen nicht sonderlich viele Kandidaten zur Verfügung, und jeder Kommandeur unterstützte seinen eigenen, dessen Vorzüge und Fähigkeiten jeweils übertrieben wurden.
Schließlich stand der Großmeister auf, dazu entschlossen, den Disput zu beenden. »Brüder, ich habe euch geduldig zugehört. Zwar schätze ich jeden der genannten Kandidaten, aber ich muss ganz offen sagen, dass ich keinen von ihnen für geeignet halte. Es sind tapfere Ritter, voller Wagemut und Kühnheit, aber von Diplomatie verstehen sie nicht viel. Jetzt brauchen wir aber einen Diplomaten, jemanden, der den Stolz des Admirals nicht verletzt und ihn dazu bringen kann, uns die erforderliche militärische Hilfe zu gewähren. Ich habe gehofft,
dass einer von euch den richtigen Namen nennt, aber da das nicht der Fall ist, muss ich die Entscheidung treffen und dafür die Verantwortung übernehmen. Hiermit beauftrage ich Oliviero Brandanti von Sandriano.«
Die Mitglieder des Kapitels wechselten erstaunte und missbilligende Blicke.
»Meister, bitte erlaube mir, dich daran zu erinnern, dass Bruder Oliviero noch recht jung ist und keine Erfahrung hat«, sagte jemand. »Ich glaube, ich spreche für uns alle, wenn ich darauf hinweise, dass deine Wahl ziemlich vorschnell ist.«
Der Großmeister lächelte. »Sie ist weitaus weniger vorschnell, als es den Anschein haben mag, Brüder«, erwiderte er. »Bruder Oliviero ist jung, aber nicht unerfahren. Er verfügt über ein natürliches Talent für die Diplomatie, und außerdem unterhält seine Familie seit langem Beziehungen zu den Doria, was von großem Nutzen sein könnte.Vergesst nicht, dass er vor dem Fall Konstantinopels einige Jahre am byzantinischen Hof verbracht hat und in der Redekunst sehr beschlagen ist.«
»Das garantiert nicht den Erfolg der Mission«, wandte ein anderer ein.
»Niemand kann ihn garantieren, lieber Bruder. Niemand außer Gott.«
»Ich habe dich zu mir bestellt, weil ich einen Auftrag für dich habe«, sagte der Großmeister.
»Ich bin bereit, Eure Befehle auszuführen, Herr«, erwiderte Oliviero.
Der Ruf des Großmeisters hatte ihn im Waffensaal erreicht.
Zwar war er überrascht gewesen, aber er hatte sich ohne eine einzige Frage auf den Weg zum Kapitelsaal gemacht.
»Ich möchte, dass du nach Genua reist und dort mit Admiral Doria sprichst. Deine Mission wird alles andere als leicht sein, denn du sollst den Admiral dazu bringen, uns militärische Unterstützung zu gewähren. Ich fürchte, wir brauchen sie schon recht bald, denn wie ich aus sicherer Quelle erfahren habe, will der Sultan die Insel bald angreifen. Für die ganze christliche Welt ist es von fundamentaler Bedeutung, dass es uns gelingt, Rhodos unter Kontrolle zu halten, um dem Expansionsstreben der Türken Einhalt zu gebieten. Europas Herrscher und die Republiken wissen zwar um die Gefahr, sind aber zu sehr damit beschäftigt, ihre eigenen Interessen zu schützen, als dass sie bereit dazu wären, uns auch nur begrenzt Hilfe zu leisten. Die Toren begreifen nicht, dass niemand die Türken aufhalten kann, wenn
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