Das Ritual der Gleißenden Dämonen (German Edition)
willst. Gouda mit Preiselbeeren.“
„Das würden Sie tun?“
„Gar nicht lang fragen, Mund auf und rein. Ich hole es dir.“
Eine Minute später war sie mit dem Brötchen wieder da, Lea nahm einen kräftigen Bissen und ließ sich Käse und Früchte auf der Zunge zergehen.
„Wenn ich noch länger hierbleibe“, mümmelte sie mit vollen Backen, „könnte ich fast noch meinen Glauben an die Menschheit zurückgewinnen.“
„Damit würdest du nicht nur mich, sondern auch dich selbst sehr glücklich machen.“
„Wissen Sie, ich werde etwas ändern. Ich werde etwas tun. Ich habe mich lange genug herumschubsen lassen. Ich habe keine Lust mehr zu fliehen!“
„Wunderbar. Jetzt hörst du dich an, als würde deine Energie wieder in die richtigen Bahnen fließen!“
„Das habe ich Ihnen zu verdanken. Mein Gott, ich habe so ein schlechtes Gewissen. Ich habe so viele merkwürdige Dinge erlebt in den letzten Wochen, bin so vielen Menschen begegnet, denen ich nicht vertrauen konnte, dass ich völlig paranoid geworden bin. Heute Morgen war ich überzeugt, mit einem Erbseneintopf vergiftet zu werden. Und selbst jetzt, in diesem Gespräch, das mir so viel gegeben hat, musste ich dauernd mit dem Gefühl kämpfen, dass etwas nicht in Ordnung ist. Dabei sind Sie wirklich unglaublich einfühlsam und sehr nett.“
Im selben Moment fiel ihr ein, woran sich dieser neuerliche Verfolgungswahn festmachte: Die Schwester hatte sie mit Namen angesprochen. Sie hatte sie Lea genannt. Sein Fähnchen nach dem Wind zu drehen, gibt dem Leben keinen Sinn, Lea ... Dabei hatte sie voriges Mal noch erwähnt, dass sie selbst sich nie vorstellte, um niemanden zur Nennung des eigenen Namens zu drängen.
Ich muss wohl wirklich total spinnen, dachte Lea kopfschüttelnd. Dann ist mir eben irgendwann mein Name rausgerutscht. Na und? Bei Frau Tönges ist mir das auch passiert.
Dabei fiel ihr auf, dass sie den Namen der Ordensschwester immer noch nicht wusste.
„Darf ich fragen“, fuhr sie also fort, während sie den letzten Bissen des Brötchens herunterschluckte, „wie Sie heißen?“
„Aber natürlich“, erwiderte die Nonne mit mildem Lächeln und freundlich zwinkernden Augen. „Ich bin Schwester Anna.“
47. Kapitel
Als Lea nach draußen trat und zur Linken die Fernzüge, vor sich jedoch die Rolltreppe zum S-Bahnhof sah, wusste sie nicht, was sie tun sollte. Hier stand der IC zum Flughafen, dort fuhr die S-Bahn Richtung Haus Zuflucht . Das Nachdenken wurde nicht leichter durch die seltsamen Punkte, die plötzlich vor ihren Augen tanzten, seit sie die Bahnhofsmission verlassen hatte. Sicher der Kreislauf.
Ihr Magen krampfte sich zusammen. Bitte, jetzt nicht, nicht schon wieder, lass mich wenigstens dieses Brötchen drin behalten.
Mit einem Mal bekam sie Angst. Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn. Warum zum Teufel war das Luftholen so anstrengend? Atmen sollte von selbst funktionieren, es sollte keinen solchen Kraftaufwand erfordern, und die Lunge sollte sich nicht so komisch anfühlen, alles sollte sich nicht so komisch anfühlen ...
Sie rannte in Richtung S-Bahn, stoppte wieder, schielte nach dem IC. Nein, erst einmal raus hier, frische Luft, wieder klar denken. Die Gedanken drehten sich ja im Kreis, wenn sich die Welt im Kreis drehte. Draußen würde ihr Kreislauf wieder auf die Beine kommen. Nur dass ihre eigenen Beine bleischwer waren und mindestens hundert Meter lang, es war unmöglich, sie zu koordinieren.
Irgendwann war sie trotzdem draußen, und die tanzenden Punkte blinkten und blitzten, als würden Scharen von Reportern sie begrüßen, dies ist Lea Leonardt, sie floh vor ihrem Vater und ließ sich mit den falschen Leuten ein, Friede ihrer Asche ... warum war sie eigentlich plötzlich so sicher, dass sie sterben würde, niemand hatte etwas von Sterben gesagt, aber als der Bahnhof und die Straße und die Menschen und die Geräusche immer ferner wurden und alles immer weiter weg war, und als sie mehr schwebte, statt zu gehen, da hatte sie das Gefühl, dass dort oben irgendwo der Gott wartete, von dem Schwester Anna gesprochen hatte, er wurde allmählich realer als die Szenerie um sie herum, die verblasste, die Farben wurden fahl, der Lärm verhallte, alles in Zeitlupe, wie eine alte Vinylsingle, die man mit 33 Umdrehungen abspielte, und es wurde dunkel, dunkler, langsamer, leerer, hier hinein in die Seitengasse, erst mal ausruhen, und dann sterben, die Magenkrämpfe kommen jetzt auch von immer weiter weg,
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