Das Ritual der Gleißenden Dämonen (German Edition)
hustete und spuckte und bemerkte dabei, dass sie bereits in einer großen, beige-braunen Pfütze lag, die diesen unmenschlichen Gestank verursachte und vermutlich aus ihrem eigenen Magen gekommen war.
Was war passiert? Sie erinnerte sich an das Gefühl zu fliegen. Aber dann war der Ekel wiedergekommen und der Schwarze Mann ohne Gesicht, der sie töten würde, ihr ewiger Alptraum.
Mehr wusste sie nicht mehr. Anscheinend hatte sie sich im Dämmerzustand zwischen Wachen und Bewusstlosigkeit übergeben, bis ihr Magen alles, was in ihm war, wieder hergegeben hatte. Das Brötchen mit Gouda und Preiselbeeren war streckenweise noch zu erkennen.
Sie stand auf, schwindelte und fiel wieder hin, mitten in diese Pfütze hinein.
„Der Teufel sei verflucht!“, rief sie laut.
Auf Knien robbte sie ein paar Meter weg, aber der Gestank verfolgte sie. Er hing – zusammen mit ein paar Bröckchen und einem Schuss Flüssigkeit – in ihren Jeans, ihrem Mantel, ihrem Pullover, ihren Haaren.
Allmählich erinnerte sie sich an größere Zusammenhänge. Der Flughafen. Startzeit 7:10 Uhr. Wie spät war es, verdammt?
Egal. Zu spät jedenfalls. Es war schon hell. Um diese Jahreszeit hieß das, mindestens halb acht oder acht. Sie hatte es vergeigt. Kein Flug, kein Marokko, kein Päckchen.
Und Hunter, der sie in diesem Moment bereits suchen musste. Der gute Katholik, der nicht mordete. Wenn es nicht sein musste.
Langsam stellte sie sich auf ihre noch etwas unzuverlässigen Beine. Sie musste die ganze Nacht hier gelegen haben, es war ein Wunder, dass sie nicht erfroren war. Gott sei Dank waren die Temperaturen ein wenig gestiegen, aber um die null Grad waren es bestimmt, und ihren Fingern fehlte immer noch jegliches Gefühl.
Sie stolperte aus dem schmalen Gässchen zurück auf die Kaiserstraße, die vom Bahnhof her kam, und blinzelte in den nebligen Wintermorgen hinein.
Okay Lea, Prioritätenliste. Weg hier. Aufwärmen. Essen (Problem: was? Während der Aufwärmphase klären). Wäsche waschen. Weiteres Leben planen.
Aber bitte in dieser Reihenfolge. Plane niemals dein Leben, solang dir noch Kotze am Mantel hängt!
Unsicheren Schrittes schleppte sie sich zum S-Bahnhof, taumelte in einen Zug und versuchte, die angewiderten Blicke und das Naserümpfen der anderen Fahrgäste zu ignorieren.
Zehn Minuten später stieg sie am Alfred-Brehm-Platz aus der U-Bahn und betrat das Haus Zuflucht .
Nach weiteren zehn Minuten und einigen Aufnahmeformalitäten nahm die Leiterin des Hauses, wieder allein in ihrem Büro, den Telefonhörer in die Hand und wählte die Nummer der Bahnhofsmission.
49. Kapitel
Schwester Anna zuckte leicht zusammen, als sie den großen, breitschultrigen Mann hereinkommen sah. Er war es. Der weite Kapuzenmantel war Legende, ebenso wie das dunkelrote Glühen der im Schatten liegenden Augen. Simon hatte ihr schon vor vielen Jahren von ihm erzählt. Er war ebenso mächtig wie skrupellos. Er bekam, was immer er wollte. Er tötete Menschen und, wenn es sein musste, auch Vampire, so wie Sterbliche beiläufig eine Fliege zerquetschten. Andere Untote bewunderten und beneideten ihn.
Sie streckte die Hand zum Gruß aus, und er drückte sie sehr schnell, als wollte er wieder loslassen, bevor er ihr versehentlich die Knochen brach.
„Sie sind also Julio Palazuelo“, begann sie, unsicher, wie man jemanden wie ihn begrüßen sollte.
„Und Sie sind Señora Anna“, erwiderte er, „können wir in Ihr Büro gehen? Es gibt einiges zu besprechen.“
„Wir haben Glück. Mein Kompagnon ist derzeit in Urlaub.“
In dem kleinen Hinterzimmer goss sie sich aus ihrer Thermoskanne eine Tasse Kräutertee ein und setzte sich ihm gegenüber.
„Wie Sie sich denken können, möchte ich mich zunächst nach dem Stand der Dinge erkundigen“, brummte er.
Sie schluckte den heißen Tee herunter und hauchte genussvoll die erwärmte Atemluft aus. Es schien ihr plötzlich ungeheuer wichtig, diese Tasse Tee mit all ihren Sinnen wahrzunehmen.
„Ich habe ihr das Gift gegeben“, erwiderte sie. „Was war es übrigens für ein Stoff?“
„Zyankali. Nicht sehr originell, aber im Regelfall verlässlich. Haben Sie sich von ihrem ordnungsgemäßen Dahinscheiden überzeugt?“
Wieder schluckte sie, diesmal ohne die Teetasse, nur ihren Speichel, der sie mit einem Mal am Reden zu hindern schien. Es war, als müsste sie jedes Wort einzeln herauswürgen.
„Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass sie den Vorgang überlebt hat.“ So, jetzt war es
Weitere Kostenlose Bücher