Das Ritual der Gleißenden Dämonen (German Edition)
woher. Der Pfarrer kriegt die Krätze, wenn er mich von Weitem sieht.“
„Ich werde euch Hostien mitgeben“, schaltete sich Valeska unvermittelt ein.
„Du, Ma? Woher kriegst du Hostien mitten in der Nacht?“
„Einige von uns haben sich eben trotz allem noch ein wenig Gottvertrauen bewahrt“, mahnte sie, „und wer Gott vertraut, den belohnen seine Diener auf Erden zuweilen mit dem Schlüssel zur Kirchentür. Wenn du meine Hobbys nicht immer so belächelt hättest, wüsstest du, dass ich mich schon seit längerer Zeit in der Gemeindearbeit engagiere.“
„Ich werde nie wieder über deine Hobbys lächeln, Ma. Du bist spitze! Jetzt lass uns Schluss machen, Lucy, Bülent ruft sicher gleich an.“
Keine Minute später war es auch schon soweit. Aber Bülents Stimme klang verändert, so sehr, dass es Lea einen kalten Schauer über den Rücken jagte. „Was ist mit dir los?“, fragte sie eilig. „Bülent, was ist dir passiert?“
„Sitzt du am PC?“
„In einer Sekunde.“
„Gut. Ich maile dir ein paar von den Dokumenten, die ich gefunden habe. Lea ...“
„Ja?“
„Wir sind so gut wie tot.“
62. Kapitel
Es dauerte eine Weile, bis die E-Mails angekommen waren. Da es sich um seltene alte Schriften handelte, war nicht nur ihr textlicher Inhalt digitalisiert worden, sondern jede einzelne Seite lag als hochauflösende Grafik vor. Das nahm ein Vielfaches an Speicherplatz in Anspruch.
„Jetzt ist die letzte auch noch da“, rief Lea ungeduldig, als der Computer den vertrauten Glöckchenton hören ließ. „Was hast du herausgefunden?“
„Erst mal das Allgemeine. Legenden von blutsaugenden Ungeheuern gibt es anscheinend in jedem Land und zu jeder Zeit.“
„Welch Wunder.“
„Wenn auch nur jede zweite dieser Sagen von richtigen Vampiren herrührt, können wir uns auf eine Menge Feinde gefasst machen: In Ghana gibt es die Asanbosam, auf den Philippinen Aswang und Danag, in Schottland die Baobhan-Sith, in Indien die Churel, in den Anden die Chondenados, in Griechenland die Lamien, und witzigerweise gibt es in Australien eine ähnliche Legende von einem Dämon namens Yara-Ma-Yha-Who, nur dass der nicht Blut aus dem Körper saugt, sondern die Flüssigkeit, die dort am wertvollsten sein mag: nämlich Wasser.“
„Irgendetwas zu deren Vernichtung?“
„Alles, was den einzelnen Kulturen halt grade so heilig ist. Das wechselt natürlich sehr stark.“
„Mist. Keine guten Karten für unsere Kruzifixe.“
„In Europa kam der richtige Vampirwahn übrigens erst im 18. Jahrhundert auf, also siebzehnhundertsonstwas. Vor allem im Osten. Was hat man nicht alles zur Erklärung herangezogen: Syphilis, Tollwut, Tuberkulose, lebendig Begrabene ... in diesem Punkt sind wir jedenfalls schon schlauer.“
„Könntest du langsam zu der Stelle kommen, dass wir so gut wie tot sind, und dabei auch gleich erklären warum?“
„Sofort. Es gibt immerhin auch eine gute Nachricht.“
„Dann kann ich meinem nahen Tod ja optimistisch entgegenblicken. Und die wäre?“
„Fast – ich sage fast – alle alten Schinken sind sich einig, wie man zum Vampir wird. Die Erklärungen sind so simpel wie haarsträubend und haben zwei Dinge gemeinsam: Erstens klingen sie penetrant nach 'Ich zähl mal all die Dinge auf, die du nicht tun solltest', und zweitens wären wir alle längst Vampire. Beispiele gefällig? Unehelich Geborene, zum Islam konvertierte Christen, Priester mit Todsünden, Exkommunizierte, Tote, die keine Sterbesakramente bekommen haben, mit Zähnen Geborene, an Unglückstagen Geborene, Leute mit so 'nem komischen Blutmal am Leib, wer von einem Vampir gebissen wird sowieso ...“ Bülent hatte sehr schnell gesprochen und musste erst einmal Luft holen.
„Aber hier wird's wieder spannend. Da gibt's eine Zisterzienserin aus Nordhessen, die um 1500 in einem Kaff namens Caldern im Kloster saß und völlig untypisch für die Mädels damals ganz naseweis geforscht hat, anstatt sich um irgendwelche Kranken zu kümmern. Die schreibt hier in einem pervers krassen Slang, das musst du dir selber mal durchlesen. Aber was sie schreibt, ey, ich verwette mein Taschengeld für ein Jahr, dass dir das die Schuhe auszieht.“
„Davon könnte ich wahrscheinlich fünf Jahre in Saus und Braus leben“, bemerkte Lea spitz, als sie das Dokument öffnete. Das eingescannte Buch stammte aus dem Jahr 1658 und nahm für sich in Anspruch, die Aufzeichnungen der Nonne wortgetreu wiederzugeben.
„'Der Vampyr hatt mancherley
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