Das Ritual der Gleißenden Dämonen (German Edition)
einfach glauben und vertrauen musste, und nun machte ihr diese Stimme auch noch Komplimente, ihr, der kleinen Lea, die alle für komisch gehalten hatten. Jetzt war die Stimme da, Simon war da, seine dunklen Augen, und alles war gut. Alles.
„Du riechst aber auch gut“, hauchte sie unsicher, und jetzt erst merkte sie, dass dies der Wahrheit entsprach, nein, dass diese Worte viel zu schwach waren, um seinen Duft zu beschreiben. Das Aroma erinnerte sie an Dünengras, an Meer und Wind, an Ozeane und große Schiffe, es löste Fernweh aus und doch auch Heimweh zugleich, war voller süßer Melancholie und unendlichem Trost.
Seine Hände lagen auf ihren Schultern. Ihre Augen waren geschlossen. Etwas berührte ganz zart, fast schüchtern ihren Hals. Etwas Spitzes. Ein wohliger Schauer durchfuhr sie, und sie spürte an ihren Beinen und am rechten Arm die Gänsehaut.
Die Hände begannen sich zu bewegen, liebkosten sie, und die sanfte, spitze Berührung an ihrem Hals kam immer wieder, jedes Mal ein bisschen fester, ein bisschen aufregender.
Dann waren die Hände fort, und auch diese andere Berührung blieb aus.
„Was ist?“, fragte sie leise, ohne die Augen zu öffnen. „Warum machst du nicht weiter?“
„Es soll nur dann geschehen, wenn du es verlangst“, erwiderte er geheimnisvoll. „Bitte mich darum!“
Sie zögerte. Bitten? Um was? Um diese Hände? Die Berührung?
Den Biss?
Aber kam es darauf an? Sie hatte die Gänsehaut wieder. Er hatte sie ihr gegeben. Er konnte sie ihr immer wieder geben. Sie vertraute ihm. Diese Schauer, die sie durchzuckten, wer solche Schauer in ihr auslöste, der konnte kein schlechter Mensch sein. Sie wusste, dass sie ihm vertrauen konnte, seiner Stimme, seinen Augen, seinen Händen, seinen Zähnen.
„Bitte mach weiter“, flüsterte sie, „tu, was du willst.“
Da spürte sie das Stechen am Hals, und sie schrie auf und zuckte in seinen Armen, es war zu schön, es war nicht zu ertragen, kein Gefühl der Welt konnte so sein wie dieses, niemals hatte es das gegeben, niemals würde es das geben. Sie sah goldene Spiralen vor ihren Augen tanzen, wie die goldenen Kreise der Prager Rathausuhr, wie die goldenen Kuppeldächer der Kirchen und Museen in dieser goldenen Stadt, alles wirbelte durcheinander, und sie wusste gar nicht, ob sie noch schrie oder nicht. Es machte keinen Unterschied, es war weit weg, ihr verlorenes Blut war weit weg, nur die Gänsehaut war da, und diese Schauer, immer wieder, bitte lass es nicht aufhören, bitte sag etwas mit dieser Stimme, sieh mich an mit diesen Augen, lass diesen Augenblick für immer sein, für immer, Simon, ich gehe mit dir bis ans Ende der Welt, über deine Dünen, über dein Meer, mit deinem Schiff, ich tue alles für dich, aber lass es nicht aufhören---
Vorbei.
Einfach so.
Er quälte sie. Aber wie lustvoll eine solche Qual sein konnte!
Die Augen immer noch geschlossen, flüsterte sie lächelnd: „Bitte mach weiter.“
Aber der klare, reine Glockenklang seiner Stimme war nicht mehr zu hören. Stattdessen so etwas wie eine verstimmte, sägende Violine, die ein unmusikalischer Anfänger das erste Mal in die Hand nahm.
„Äh ... würde ich ja gerne, wenn du mir noch ein paar von denen lieferst“, kratzte dieses Un-Instrument.
Schockiert riss sie die Augen auf.
Sie hatte dieses Gesicht einmal gekannt. Kannte es.
Erkannte es.
„B-Bülent?“
Zitternd erhob sie sich.
Dann sah sie die Asche.
Ohne Zögern stürzte sie sich auf ihn und schlug ihn ins Gesicht.
„Du hast ihn getötet“, kreischte sie, „du hast ihn getötet und mich betrogen! Mein Leben! Mein Glück! Mein Augenblick! Meine Ewigkeit! Du hast ... du hast ...“
Ihre Schläge erlahmten. Für Bülent, mit zwei gesunden Armen, war es ein Leichtes gewesen sie abzuwehren.
„Du hast ...“, versuchte sie noch einmal, aber sie fand den Satz nicht. Ihr war übel, sie fühlte, wie ihre Knie nachgaben.
Bülent fing sie auf und stützte sie ab.
„... dir das Leben gerettet?“, schlug er vor.
Lea nickte stumm.
Dann bemerkte er plötzlich, dass sie weinte.
„He“, sagte er leise und strich ihr über das Haar, „he, ist ja gut.“
„Ich schäme mich so“, schluchzte sie.
„Kein Grund. He, du hast keinen Grund. Wir wissen doch, dass die uns Menschen um den Finger wickeln können! Sonst hätten sie auch Lucy nicht erwischt.“ Er blickte tief in ihre feuchten, rotgeränderten Augen, in denen neben den Tränen immer noch ein wenig Sehnsucht glänzte. „Okay,
Weitere Kostenlose Bücher