Das Ritual der Gleißenden Dämonen (German Edition)
mochte schon zwei, drei Monate her sein, deshalb hatte er sich nicht gleich erinnert. Schon ein merkwürdiger Zufall: In seiner gesamten Dienstzeit war ihm das Wort „Vampir“ höchstens nach Feierabend im Kino begegnet, und jetzt gleich zweimal kurz nacheinander, jedes Mal in Verbindung mit einem behaupteten oder tatsächlichen Verbrechen.
Was immer die Kleine damals von einem Mörder erzählt hatte, war ja offenkundig zusammenphantasiert worden. Es hatte keine Leiche gegeben, keine Anzeige, überhaupt nichts Auffälliges in diesem Herbst. Aber wer konnte sagen, was sie sich noch alles zusammenphantasierte?
Er musste an den Fall des Satanistenpärchens aus Witten denken. Daniel und Manuela, er 25, sie 22. Daniel verkaufte Autoteile und leistete sich außer einem „schrillen Erscheinungsbild“, wie es die Presse im Nachhinein genannt hatte, wenig Extravaganzen. Ganz normale Leute im Grunde. Die plötzlich das Gefühl hatten, sie müssten unbedingt einen von Daniels Kollegen mit 66 Messerstichen – und zur Sicherheit noch ein paar Hammerschlägen – um die Ecke bringen. Weil Satan es befohlen hatte. Das Ruhrgebiet war zwar eine Ecke entfernt und hatte mit seinem urbanen Flair sicher mehr seltsame Vögel zu bieten als das Achttausend-Seelen-Städtchen Eschersbach, aber man sollte sich nie zu sicher fühlen, nicht wahr?
Und wenn es in Eschersbach ein paar Verrückte gab, die sich für Vampire hielten oder sich jedenfalls so benahmen, wie wahrscheinlich war es dann, dass dieses Mädel etwas damit zu tun hatte?
Vielleicht war sie sogar dabei gewesen, als es passierte? Wer konnte sagen, ob sie nicht sogar die Befehle gab, als der starke Unbekannte (vielleicht der Dicke, den sie auf dem Revier dabeigehabt hatte) die spätere Leiche mit eisernem Griff hielt und dem Jungen die Halsschlagader anstach ...
Noch war es nicht mehr als ein vager Gedanke.
Aber es wäre nicht das erste Mal in seiner Karriere gewesen, dass aus einem Gedanken ein Verdacht wird, aus einem Verdacht ein Haftbefehl und aus einem Haftbefehl eine Verurteilung.
Die kleine Dittmann hatte innerhalb von einer Minute die Adresse des Mädchens herausgesucht, die bei dessen Besuch auf dem Revier routinemäßig aufgenommen worden war. Ritterbusch stand einen Moment lang unschlüssig vor dem Haus – ein gutbürgerliches Haus in einer gutbürgerlichen Gegend eines gutbürgerlichen Städtchens. Der Ort, an dem Satanisten gezüchtet wurden? Kaum. Oder vielleicht gerade doch.
Die Sonne ging eben auf, als er klingelte. Eigentlich sollte man den zweiten Januar noch zum Feiertag erklären, dachte er, während er wartete, schließlich hatte man vom ersten nicht viel außer Kopfschmerzen.
Die Haustür öffnete sich einen Spalt, eine kleine Kette spannte sich zwischen ihr und dem Türrahmen. „Ja bitte?“
Oh Gott, der übliche Krimi-Dialog. Na schön, bringen wir's hinter uns. „Frau Leonardt?“
„Das steht ja auf dem Klingelschild. Und wer sind Sie um diese Zeit am Morgen?“
„Jede Zeit ist eine sehr gute Zeit, wenn wir nur etwas mit ihr anzufangen wissen, Frau Leonardt. Sagt Ralph Waldo Emerson. Mein Name ist German Ritterbusch, ich bin Hauptkommissar der hiesigen Polizei.“
Er zeigte seinen Ausweis, und die Tür schloss sich vor seiner Nase, um sich einen Augenblick später wieder zu öffnen – diesmal ohne die Kette.
Dies war also die Mutter des Mädchens. Gar nicht hässlich, wenn auch nicht mehr die Jüngste (aber mein Gott, wer war das schon?), und eigentlich kreisten seine Gedanken auch noch viel zu sehr um Mariam, um schon wieder das hypothetische „Könnte ich mit der?“ zuzulassen, mit dem jeder alleinstehende Mann jeder geschlechtsreifen Frau begegnete. Aber ein Blick konnte ja nicht schaden.
„Darf ich bitte Ihre Tochter sprechen?“, fuhr er fort, als er eingetreten war. „Oder ist sie schon in der Schule? Nein, die haben sicher noch Ferien, nicht wahr?“
„Lea? Hat sie ... was hat sie ...“
„Ich hätte gern von ihr selbst gewusst, was sie hat. Während auf dem Marktplatz ganz Eschersbach das neue Jahr eingeläutet und eingesoffen hat, ist im Gewerbegebiet ein Schüler getötet worden, der wie Ihre Tochter das Turnvater-Jahn-Gymnasium besuchte. Ich würde ihr in diesem Zusammenhang gern ein paar Fragen stellen.“
„Mein Gott! Sie … Sie glauben doch nicht etwa, dass sie etwas damit zu tun hat?“
Ritterbusch seufzte tief. „Können Sie sich ungefähr vorstellen, wie oft ich diesen Satz schon gehört
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