Das Rosenhaus
»Macht nichts. Dieses Jahr
wird nicht viel zu erwarten sein, aber Rosen sind ziemlich hartnäckig, nächstes
Jahr wirst du dich kaum retten können vor Blütenpracht.«
»Du meinst, die erholen sich wieder?«
»Selbstverständlich«, behauptete Abi und klang dabei sicherer, als
sie es war. »Du hast wirklich mächtig aufgeräumt, ich hatte ganz vergessen, wie
groß dieser Teil des Gartens ist. Was meinst du«, fragte sie dann und hakte
sich bei Lily unter, »sollen wir uns jetzt, da du bereits so fleißig gewesen
bist, etwas gönnen und zu Bob runtergehen?«
»Wir müssen eine Arbeit für Lily finden, oder zumindest
irgendeine sinnvolle Beschäftigung«, verkündete Abi, nachdem sie Bob begrüßt
und sich an einen Tisch im Port Hole gesetzt hatten.
»Weil das Gärtnern offenbar nicht gerade meine Stärke ist«, fügte
Lily verschmitzt lächelnd hinzu.
»Und schon gar nicht das Gärtnern nach übermäßigem Genuss von Gin!«,
raunte Abi Bob hinter vorgehaltener Hand zu, denn sie hatte Lily das Geheimnis
des Rosengartens inzwischen entlocken können.
»Gin? Na, wo sie den wohl herhatte?« Bob
sah Abi mit hochgezogenen Augenbrauen an.
»Das war meiner, nicht Abis«, versicherte Lily schnell.
»Ja, das war der Nachschub, den du gekauft hattest, nachdem wir die
Flasche, die ich dir geschenkt habe, geleert hatten!«, lachte Abi. »Ich übe
einen schlechten Einfluss auf dich aus. Der Zustand deines Rosengartens ist
allein meine Schuld.«
»Ich habe das doch nicht getan, weil ich
etwas getrunken hatte. Der Alkohol hat lediglich die konkrete Form der Ausführung
beeinflusst …«
»Und was genau soll das heißen?«, fragte Bob stirnrunzelnd.
»Edward mit den Scherenhänden auf Speed«, entgegnete Lily, und die
beiden Frauen fingen an zu lachen und umarmten einander.
»Das hättest du sehen sollen, Bob, ich habe ein riesiges Feuer
gemacht, ich hätte ohne Weiteres das ganze Haus abfackeln können!« Lily lachte,
dass ihr die Tränen übers Gesicht liefen.
»Aber mein ritterlicher Sohn eilte ihr zu Hilfe!«
»Du brauchst wirklich irgendeine Aufgabe, Lily. Irgendeine sinnvolle
Beschäftigung …«
»… Liam ist derjenige, der Beschäftigungstherapie bekommt, nicht ich
…«
»Ich sprach lediglich von Beschäftigung, aber wenn sie einen
therapeutischen Effekt hat, umso besser … Wenn du das denn nötig hast. Brauchst
du eine Therapie?«
»Meinst du, ich brauche eine?«
»Glaubst du, dass ich das meine?«
»Na ja, also, erst schenkt Nathan mir eine Staffelei, dann schenkst
du mir eine Gartenschere …«
»Nathan hat dir eine Staffelei geschenkt?« Abi runzelte die Stirn.
Lily nickte.
Fast wünschte sie, sie hätte das nicht erwähnt, und sie war sehr
dankbar, als Anna mit einer Auswahl an Kuchen an ihren Tisch kam, denn Abi ließ
sich bereitwillig ablenken.
»Hmmmm, Soul Food …«, sagte sie und rieb sich vorfreudig die Hände.
»Wie? Das ist Soul Food?«, fragte Anna sichtlich verwirrt.
»Also, meiner Seele tut es ganz bestimmt gut.« Abi zwinkerte Lily
zu.
Anna blieb noch stehen.
»Wie geht es dein Mann?«, wollte sie wissen.
Lily zuckte bloß mit den Schultern und antwortete: »Das wüsste ich
auch gerne, Anna.«
Sie war lange nicht so entspannt gewesen. Abi redete mit jedem, der
hereinkam, ganz gleich, ob sie ihn kannte oder nicht, sie hatte für jeden ein
paar warme Worte übrig.
Am spannendsten fand Lily es, von ihrem sonnigen Platz aus Bob zu
beobachten.
Und Abi.
Wie Bob Abi ansah. Das faszinierte Lily.
Es war eine Mischung aus Erheiterung, Sorge, Zuneigung und noch
etwas, das Lily nicht recht greifen konnte.
Als er Lilys beobachtende Haltung bemerkte, senkte er den Blick und
lächelte verlegen.
Er lehnte sich über den Tisch und legte die Hand auf ihre.
»Ich weiß, was dir durch den Kopf geht …«
»Ach ja?«
»Ja. Dasselbe wie allen anderen in diesem kleinen inzestuösen Dorf.
Siehst du die da?« Er zeigte auf eine große, schmutzig-graue Möwe, die auf der
Fensterbank saß, und eine auf dem Dach des Hauses gegenüber. »Die meisten
glauben, das seien einfach nur Vögel, stimmt aber nicht, das sind Gerüchte,
ganze Schwärme davon, die wie die Aasgeier über uns kreisen, uns ankreischen …«
»… und uns ankacken?«, sagte Lily und brachte Bob damit zum Lachen.
»Ich sehe schon, wir zwei verstehen uns!«
»Also, was ist mir durch den Kopf gegangen?«, fragte Lily
aufgekratzt.
»Ist er hetero oder ist er schwul?«, entgegnete er prompt. »Ist er
der typische schwule
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