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Das Rosie-Projekt

Das Rosie-Projekt

Titel: Das Rosie-Projekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graeme Simsion
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Rosie auf den nächsten Teil meines Vorschlags reagieren würde. »Unbemerkt.«
    Rosie schwieg. Zumindest schien sie meine Idee in Betracht zu ziehen. Oder sie überlegte, ob sie mich melden solle. Ihre Antwort sprach für Ersteres. »Und wer analysiert die dann?«
    »Ich bin Genetiker.«
    »Sie sagen also, wenn ich eine Probe hätte, könnten Sie sie für mich untersuchen?«
    »Ein Kinderspiel«, erwiderte ich. »Wie viele Proben müssen wir denn testen?«
    »Vermutlich nur eine. Ich habe einen ziemlich konkreten Verdacht. Er ist ein Freund der Familie.«
    Muskelmann hustete hörbar, und Rosie holte zwei Bier aus dem Kühlschrank. Schwarzkappe legte einen Zwanzig-Dollar-Schein auf die Theke, aber Rosie schob ihn wieder zurück und winkte die beiden davon.
    Ich probierte es gleichfalls mit dem Hustentrick. Rosie brauchte diesmal einen Moment, um die Botschaft zu deuten, brachte dann aber ein Bier.
    »Was brauchen Sie?«, wollte sie wissen. »Um die DNA zu analysieren?«
    Ich erklärte, dass wir normalerweise einen Abstrich von der Innenseite der Wange machten, dass dies aber ohne das Wissen des Beteiligten so gut wie unmöglich sei. »Blut wäre das Beste, aber es reichen auch Hautpartikel, Speichel, Urin …«
    »Auf keinen Fall.«
    »… Stuhl, Sperma …«
    »Das wird ja immer besser«, sagte Rosie. »Ich vögle einen sechzigjährigen Freund der Familie in der Hoffnung, dass er mein Vater ist.«
    Ich war schockiert. »Sie würden Sex mit …«
    Rosie erklärte, das sei ein Witz gewesen. Über solch eine ernste Angelegenheit! Inzwischen wurde es an der Theke immer voller, und immer mehr Hustensignale waren zu hören. Eine ausgezeichnete Möglichkeit, um Krankheiten zu verbreiten. Rosie schrieb eine Telefonnummer auf ein Stück Papier.
    »Rufen Sie mich an.«

10
    Erleichtert nahm ich am nächsten Morgen meine gewohnte Routine wieder auf, die in den letzten zwei Tagen so empfindlich gestört worden war. Das Joggen über den Markt an Dienstagen, Donnerstagen und Samstagen ist fester Bestandteil meines Zeitplans und bietet mir die Möglichkeit, gleichzeitig zu trainieren, die Zutaten für meine Mahlzeiten einzukaufen und nachzudenken. Gerade Letzteres hatte ich dringend nötig.
    Eine Frau hatte mir ihre Telefonnummer gegeben und mich gebeten, sie anzurufen. Mehr noch als der Jackett-Zwischenfall, das Balkonessen und sogar die Aufregung über das mögliche Vaterprojekt hatte diese Geste meine Welt durcheinandergebracht. Ich wusste wohl, dass so etwas dauernd passierte: in Büchern, Filmen und Fernsehserien tun die Leute genau das, was Rosie getan hatte. Nur mir war es noch nie passiert. Keine Frau hatte mir je wie beiläufig, unbedacht und automatisch ihre Telefonnummer aufgeschrieben, gegeben und gesagt: »Rufen Sie mich an.« Ich fühlte mich vorübergehend in eine Kultur aufgenommen, die ich für mich verschlossen gehalten hatte. Obwohl es vollkommen logisch war, dass Rosie mir ein Mittel bot, sie zu kontaktieren, beschlich mich das irrationale Gefühl, dass, wenn ich Rosie anriefe, sie merken würde, dass sie sich in irgendeiner Weise geirrt hatte.
    Ich erreichte den Markt und begann mit den Einkäufen. Da die Zutaten für jeden Tag standardisiert sind, weiß ich genau, welche Stände ich aufsuchen muss, und die Verkäufer halten meine Sachen meist schon fertig verpackt bereit. Ich muss sie nur noch bezahlen. Die Verkäufer kennen mich und sind durchweg freundlich.
    Trotzdem ist es wegen der Menge menschlicher und nicht-menschlicher Hindernisse nicht möglich, zeitgleich zum Einkauf große intellektuelle Leistungen zu vollbringen: Gemüseteile liegen am Boden, alte Damen zuckeln mit Rollerwagen durch die Gegend, Händler bauen erst noch ihre Stände auf, Asiatinnen vergleichen Preise, Waren werden angeliefert, Touristen fotografieren sich gegenseitig vor den Auslagen. Zum Glück bin ich meist der einzige Jogger.
    Auf dem Nachhauseweg setzte ich die Analyse der Rosie-Situation fort. Ich erkannte, dass meine Handlungen eher von Instinkt als von Logik geleitet gewesen waren. Es gab jede Menge Menschen, die Hilfe benötigten – viele mehr noch als Rosie –, und massenhaft wichtige wissenschaftliche Projekte, für die ich meine wertvolle Zeit besser einsetzen könnte als für die Suche nach einem einzelnen Vater. Und natürlich sollte das Projekt Ehefrau höchste Priorität haben. Es wäre also sinnvoller, Gene zu bitten, mir passendere Frauen von der Fragebogenliste auszusuchen, oder einige der weniger wichtigen

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