Das rote Band
Mühle am Fluss. Er sprang von seinem Pferd und band es zusammen mit dem Handpferd, das er für Ian mitgeführt hatte, an einem Zaun an. Der Müller sah ihn kommen und wies mit der Hand in den Hof.
„Ian ist dort hinten, Mylord.“
Jake eilte in die angegebene Richtung und entdeckte Ian vor den Stallungen. Dieser stand mit dem Rücken zu ihm und hackte Holz. Obwohl die Zeit drängte, blieb Jake einen Moment lang stehen und beobachtete ihn. Was für eine Schande, einen Mann mit Ians Fähigkeiten Holz hacken zu lassen wie einen beliebigen Knecht! Doch für Reue war es zu spät. „Ian!“, rief er laut.
Ian hielt inne und lehnte die Axt gegen den Hackklotz, auf dem er die Holzscheite gespalten hatte. Langsam drehte er sich um. Sein Gesichtsausdruck verriet nichts von seinen Gefühlen.
Jake ging auf ihn zu. „Die Männer, die euch nach dem Gauklerfest im Wald überfallen haben, haben heute Morgen einige der Studenten aus der Waffenhalle entführt. Es sind keine Wegelagerer, es sind Söldner. Und Samuel … Samuel ist einer von ihnen. Sie erwarten heute Abend eine Lösegeldzahlung von mir, ansonsten wenden sie sich an die Familien der Studenten.“
Ian erschrak. Die Studenten waren in großer Gefahr! Er blickte zu Jake und begriff, was der Earl ihm mit dieser Nachricht zu verstehen geben wollte. Natürlich stand es außer Frage, dass er ihn nach Greystone begleiten würde, um den jungen Männern zu Hilfe zu eilen. Am liebsten wäre er sofort aufgebrochen, doch Ian zwang sich zur Ruhe. Trotz der ernsten Lage wollte er es Jake nicht zu einfach machen. „Und was hat das mit mir zu tun?“, fragte er kühl.
„Du weißt genau, weswegen ich hier bin“, antwortete Jake.
„Lass mich nachdenken“, erwiderte Ian sarkastisch. „Wegen meiner getrübten Sinne? Meiner schlechten körperlichen Verfassung? Oder suchst du nur einen Dummkopf, dem du die Schuld in die Schuhe schieben kannst, wenn bei deiner – vermutlich geplanten – Rettungsaktion etwas schiefläuft?“
„Sie haben auch Eloïse.“
„Was?“, rief Ian entsetzt, und seine Auseinandersetzungen mit Jake wurden mit einem Mal völlig unwichtig. „Aber sie hat doch gar nicht mehr mit den Studenten zusammen trainiert.“
„Woher weißt du …?“ Jake brach seine Frage ab. „Es war ein unglücklicher Zufall“, gab er zu.
„Haben die Söldner erkannt, dass sie eine Frau ist?“, fragte Ian.
„Ja, und sie haben gedroht, es auszunutzen.“
Ian fluchte. „Ich helfe dir ein letztes Mal, Jake“, antwortete er schließlich. „Sobald die Studenten und Eloïse wohlbehalten in der Burg sind, verlassen Joanna und ich Greystone für immer.“
Jake nickte stumm und drehte sich um.
Galad hatte recht gehabt, dachte Ian, während er dem Earl zu den Pferden folgte. Jake war gekommen, allerdings nicht seinetwegen. Eine Erkenntnis, die ihn enttäuschte, wenn auch nicht überraschte.
„Der Earl ist nicht erschienen.“ Einer der Söldner kam nach Einbruch der Dunkelheit aus dem Wald gelaufen und blieb vor Zacharias stehen.
„Dann brechen wir auf. Vorher allerdings“, der Hauptmann trat zu Eloïse, die wie die anderen sieben Studenten gefesselt an einem Baum stand, „sollten wir uns noch ein bisschen Spaß gönnen.“ Er kniff Eloïse in die Brust, und sie spuckte ihn an. Langsam wischte sich Zacharias die Wange ab, dann schlug er ihr ins Gesicht. „Dürr wie ein Skelett, aber Feuer genug für zwölf Kerle scheint sie zu haben. Was meinst du, Samuel?“
Samuel, der ebenfalls an einen Baumstamm gefesselt war, senkte den Kopf und schwieg.
Zacharias grinste, löste Eloïses Fesseln und stieß sie einem seiner Söldner in die Arme. Der Mann zog sie an sich und fuhr mit der Hand unter Eloïses Rock, die panisch aufschrie.
Plötzlich ertönte Victorians Stimme: „Nimm sofort die Hände von ihr, sie gehört mir!“
Der Mann hielt inne, und der Kopf des Anführers flog herum. „Wer bist du, Junge, dass du es wagst, hier Kommandos zu erteilen?“
„Ich bin der Sohn des Dukes of Walraven“, erwiderte Victorian.
„So, so“, sagte Zacharias, und auf sein Geheiß ging einer der Söldner hinter Victorian und beleuchtete mit einer Fackel dessen gefesselte Hände.
„Er ist es wirklich!“, rief der Mann. „Der Bursche trägt den Erbring von Walraven.“
„Sieh an, der Spross der Familie Walraven in meiner Gewalt.“ Spöttisch wandte sich Zacharias an Victorian: „Nun, Sohn des Dukes , verrate mir, was du mit diesem Hungerhaken hier willst.“ Er
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