Das rote Band
recht. Ich werde heute Abend zu Joanna gehen und mich entschuldigen, auch wenn sie mich nie mehr sehen will.“
„Ach, das sagen Frauen immer, meinen aber das genaue Gegenteil“, erklärte Eloïse.
„Woher weißt du das?“, fragte Ian, während er die Tür der Waffenkammer öffnete.
Eloïse lächelte. „Das, lieber Ian, gehört zu den Geheimnissen, die ich für mich behalte!“
Er klopfte ihr auf die Schultern. „Ich lade dich trotz deines furchtbaren Benehmens zum Abendessen ein.“ Er wies auf das Tablett auf dem Schreibtisch. „In der großen Halle ist bestimmt schon abgeräumt. Setz dich, du Frauenkenner, und greif zu! Und sag den anderen nachher Bescheid, dass das Abendtraining ausfällt – sie können sich vermutlich sowieso nicht mehr bewegen.“
Kurz darauf öffnete Ian Joannas Tür, doch sie war nicht in ihrem Zimmer. Verdammt, er hatte nur einen Tag nicht mit ihr gesprochen, und sie fehlte ihm schon furchtbar. Hoffentlich wollte sie ihn überhaupt noch sehen! Missmutig machte er kehrt und ging in sein Zimmer zurück. Er würde sie später am Abend nochmals aufsuchen. Als er seinen Raum betrat, schlangen sich plötzlich zwei Arme um seinen Hals.
„Ian“, flüsterte Joanna.
Er stieß die Tür mit dem Fuß zu und zog sie an sich. „Joanna, es tut mir so leid wegen gestern Nacht.“
„Nein, du hattest recht“, erwiderte sie. „Ich bin naiv. Seit April rede ich mir ein, dass alles gut ist, und verschließe die Augen vor der Wirklichkeit.“
Ian lächelte und gab ihr einen Kuss. „Sagen wir, du bist sehr zuversichtlich. Aber Zuversicht ist es, was wir – was ich – dringend brauche.“
„Und Jake?“
„Du weißt, ich wünsche mir nichts sehnlicher als seine Freundschaft. Aber ich muss aufhören, mein Seelenheil davon abhängig zu machen. Dann kann ich bei seinen Attacken auch gelassener reagieren.“
Joanna nickte zustimmend. „Wenn es dich tröstet, Galad hat Jake wegen gestern die Hölle heißgemacht. Vielleicht reißt sich mein Bruder in den nächsten Wochen wieder mehr zusammen.“
„Das wäre zu hoffen.“
Sie strich ihm zärtlich über das Gesicht. „Ich habe dich gestern in dem Moment vermisst, in dem du mein Zimmer verlassen hast. Wenn ich dir das nächste Mal sage, ich will dich nie mehr sehen, dann glaub mir nicht, versprochen?“
„Versprochen!“ Grinsend wandte Ian sich zur Tür und drehte den Schlüssel im Schloss herum. Korin hatte tatsächlich recht gehabt!
„Jake, Galad.“ Ian begrüßte die beiden Männer am nächsten Morgen mit einem Kopfnicken. Der Earl und sein Freund saßen nicht an der Herrschaftstafel, und so konnte er sich zu ihnen zum Frühstück setzen. Seit ein paar Tagen hatte er eine Idee im Kopf, sie aber durch die Streitigkeiten völlig vergessen. „Anfang nächster Woche kommt wieder eine Gauklertruppe ins Dorf, und ich würde mit den Studenten gerne dorthin gehen als Belohnung kurz vor den Erntedankferien. Spricht irgendetwas dagegen?“
Jake schüttelte den Kopf. „Nein, von meiner Seite aus nicht. Galad?“
„Nicht, dass ich wüsste. Ihr bleibt auf den Ländereien von Greystone, und die jungen Männer freut es bestimmt.“ Galad schob die Platte mit kaltem Braten zu Ian hinüber. „Oh, da vorne ist Lord Tennison!“, rief er plötzlich. „Ich muss ihn dringend etwas fragen. Entschuldigt mich, es wird länger dauern.“ Galad stand auf und lief zu dem älteren Lehrer hinüber.
Jake stöhnte lautlos: Das hatte Galad absichtlich gemacht! Er schielte zu Ian hinüber. Der schien vollkommen in sein Frühstück vertieft. Nun gut, es hatte keinen Sinn, das Unvermeidliche noch länger hinauszuzögern. „Ian?“
Überrascht hob Ian den Kopf.
„Vorgestern in der Waffenhalle habe ich … falsch reagiert“, erklärte Jake. „Es tut mir leid. Ich würde den Vorfall gerne vergessen.“
Ian sah ihn an und nickte, aber trotz seiner Entschuldigung nagte das schlechte Gewissen an Jake. Galad hatte recht: Er müsste Ian viel mehr sagen als diese drei Sätze. Er müsste ihm erklären, was hinter seinen Vorbehalten steckte. Aber er fand einfach nicht den Mut, sich Ian gegenüber zu seinen Ängsten und niederen Gefühlen zu bekennen.
Am Ende des morgendlichen Fechttrainings, das zur Erleichterung der Studenten wieder normal verlaufen war, rief Ian die jungen Männer zusammen. „Am Dienstagabend kommen die Gaukler ins Dorf und geben eine Vorstellung, anschließend gibt es Tanz und gutes Bier. Ich würde gerne mit euch hingehen,
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