Das rote Band
– eine Fehleinschätzung, die ihr zugutekam. Im Schutze der Büsche und Bäume schlich Eloïse zur Lichtung. Ian sprach immer noch mit dem Anführer, wahrscheinlich versuchte er, Zeit zu gewinnen. Das war ungünstig, denn sie wollte ihn als Erstes befreien. Wenn jemand die fremden Männer in Schach halten konnte, dann er!
Eloïse bückte sich, legte sich auf den Boden und kroch hinter den Baum, an dem Ian gefesselt war. Sie nahm kleine Steinchen vom Waldboden und warf sie gegen Ians Hände, die hinter dem Stamm gebunden waren. Nachdem sie ihn ein paar Mal getroffen hatte, bewegte er seine Finger in gleichmäßigen Abständen. Eloïse jubelte innerlich: Er hatte verstanden!
„Wenn ihr Geld für uns Adelssöhne haben wollt“, sagte Ian dem Anführer, „dann dürft ihr uns nicht töten.“
„Das hängt einzig vom Verhalten des Earls of Greystone ab. Wenn er vernünftig ist und unsere Bedingungen erfüllt, passiert niemandem etwas. Ansonsten …“ Der Anführer fuhr mit der Handkante seinen Hals entlang. „So, genug der Plauderei. Wen von euch schicken wir zur Burg?“
„Nehmt den Fechtmeister!“ Ian wies mit dem Kopf auf Will.
Für den Bruchteil einer Sekunde schien Will verwirrt, doch dann antwortete er: „Das ist richtig. Ich bin enterbt, für mich bekommt ihr sowieso nichts. Außerdem sind es diese verzogenen Muttersöhnchen hier nicht wert, gegebenenfalls für sie zu sterben.“
Der Anführer lachte und schritt auf Will zu, der am anderen Ende der Lichtung an einen Baum gefesselt stand. „Macht ihn los!“, wies er seine Begleiter an, die Wills Stricke lösten, sie aber sogleich um seine Handgelenke banden.
Das war der Moment! Eloïse robbte zu Ian, kniete sich und zerrte an seinen Stricken. Nach einer Weile lockerte sich der Knoten. Sie atmete erleichtert auf und legte das Stück Seil auf die Erde. Ian blieb regungslos stehen, und sie huschte zum nächsten Baum, wo Raine stand. Raine musste von Ian ein Zeichen erhalten haben, denn auch er verharrte in seiner Haltung.
Inzwischen hatten die Fremden Will in die Mitte der Lichtung gezerrt. „Du bist tatsächlich der Fechtmeister?“, fragte der Anführer. „Du bist jung!“
„Binde mich los, und ich beweise dir mein Können“, erwiderte Will.
„Unter anderen Umständen gerne, denn ich bin immer auf der Suche nach guten Kämpfern, aber heute Nacht nicht.“ Er zog sein Schwert und setzte die Spitze auf Wills Brust. „Und jetzt hör gut zu, welche Botschaft du dem Earl überbringen ...“
„Wenn ich es mir recht überlege“, unterbrach ihn Will, „brauche ich keine Hände zum Kämpfen. Meine Beine reichen!“ Er sprang in die Luft, vollführte dabei eine Drehung und schlug dem Anführer mit dem Fuß die Waffe aus der Hand.
Sofort eilten zwei der Fremden ihrem Anführer zu Hilfe, doch Will wich ihren Schlägen geschickt aus und verteidigte sich weiterhin mit seinen Beinen.
Eloïse, die inzwischen auch Victorian, Olric und Nathaniel losgebunden hatte, nutzte die Ablenkung, um zu Mortons Baum hinüberzuschleichen. Nur noch kurze Zeit und sie hätte alle ...
„Da hinten hat sich einer der Burschen befreit!“, rief einer der Fremden und deutete auf sie.
„Dann schnappt ihn, verdammt nochmal!“, befahl der Anführer, während er ein zweites Schwert aus seinem Gürtel riss, um Wills Tritte abzuwehren.
Drei seiner Männer rannten auf Eloïse zu, doch Ian sprang ihnen in den Weg und zog sein Schwert. „Schnell, befreit die anderen!“, rief er.
Raine, Victorian und Morton kämpften sich zusammen gegen die restlichen Unbekannten zu den letzten gefangenen Studenten vor, während Nathaniel und Olric zu Will liefen. Nathaniel versuchte, die vier Angreifer zurückzuhalten, während Olric hastig mit seinem Schwert Wills Stricke durchtrennte. Kaum waren Wills Hände frei, zog dieser grinsend sein Krummschwert und widmete sich dem Anführer und einem weiteren Angreifer. Er nickte Olric und Nathaniel zu, die sich Seite an Seite dem dritten Gegner stellten.
Eloïse hatte gerade Harper und Finley befreit, die sich gemeinsam lautstark in das Kampfgetümmel warfen, als eine Hand ihren Oberarm packte und sie herumriss. Voll Panik schrie sie auf.
„Du bleibst an meiner Seite“, befahl Victorian. „Hast du mich verstanden, Korin?“
„Ja, Victorian“, keuchte sie. „Deshalb musst du mich nicht so erschrecken.“
„Runter!“ Er riss sie zu Boden, und das Messer flog knapp an ihrem Kopf vorbei.
Entsetzt starrte Eloïse Victorian
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