Das rote Flugzeug
die Wirkung, die der Alkohol auf ihn hatte, war äußerst ungewöhnlich. Zwar ging er ihm in Arme und Beine, störte die Bewegungsabläufe seiner Gliedmaßen, doch er griff weder seinen Verstand an, noch machte er ihm die Zunge schwer. Nachdem sich Knowles am Büffet neu eingeschenkt hatte, nahm er das volle Glas mit zu einem der tiefen Sessel, setzte sich und legte den Kopf auf die Rückenlehne, den Blick zur Decke gerichtet.
Er war so sehr in seine eigenen Gedanken vertieft, daß er nichts um sich herum wahrnahm, und die anderen beiden Männer waren zu sehr mit dem Telefongespräch beschäftigt, um Elizabeths Eintreten zu bemerken. Sie schloß leise die Tür hinter sich und blieb stehen.
Sie sah und hörte ihren Vater am Telefon. Sie sah Cox, der über den großen Schreibtisch gebeugt stand. Und dann sah sie das weiße, aufwärts gerichtete Gesicht des Arztes. Das Licht der Deckenlampe fiel direkt auf seine Züge. Sie waren völlig ohne Ausdruck, wirkten wie eine kalte weiße Maske unter dem grellen elektrischen Licht. Der schmale dunkle Schnurrbart und das feine schwarze Haare betonten noch die Blässe seiner Haut, die unnatürlich schien, wenn man bedachte, daß der Mann jede Woche Stunden mit seiner offenen Maschine flog.
Er war ein guter Arzt, das wußte sie. Und sie wußte auch, daß er sein Medizinstudium während des Kriegs fünfzehn Monate lang hatte unterbrechen müssen, um bei der Royal Air Force zu dienen. Eine gewisse Spanne innerhalb dieser Zeit – wie lange, wußte sie nicht – waren er und der Eigentümer von Tintanoo Piloten beim selben Geschwader gewesen. Doch während John Kane häufig aus dieser Zeit erzählte, mied Knowles das Thema.
Als Nettlefold sich am Telefon verabschiedet und eingehängt hatte, trat Elizabeth weiter ins Zimmer und schlug vor, man solle jetzt zu Abend essen. Erst da wurde Knowles auf ihre Anwesenheit aufmerksam und sprang so ruckartig auf, daß man hätte meinen können, er sei verärgert.
»Ich habe einen Bärenhunger«, sagte er und lächelte, um seine Verwirrung zu verbergen.
»Ich habe zwar schon zu Hause gegessen«, warf Cox ein, »aber der Flug hat mir wieder Appetit gemacht.«
»Dann kommen Sie. Um zehn muß ich meinen Nachtdienst antreten«, sagte Elizabeth.
Sie führte sie ins Eßzimmer, wo ein kaltes Abendessen angerichtet war. Nettlefold schnitt den kalten Rinderbraten auf, und sie setzten sich zum Essen. In ihren Gesprächen schwang ein ständiger Unterton von Erregung und Erwartung. Sie konnten über nichts anderes sprechen als über die hilflose junge Frau, die in Elizabeths Zimmer lag, obwohl Cox mehrere Versuche unternahm, ein anderes Thema anzuschlagen. Durch die offenen Fenster drang das Brummen des Generators, der die Farm mit Strom versorgte. Von weiter weg wehten gedämpft die Klänge eines Akkordeons herüber. Die Nacht war still und friedlich und warm. Sie ahnten, ohne es mit Sicherheit zu wissen, daß sich dramatische Entwicklungen auf Coolibah anbahnten.
5
Krankenwache
Um zehn Uhr löste Elizabeth die Haushälterin ab, während die Männer sich wieder in Nettlefolds Arbeitszimmer begaben.
»Ich glaube, sie schläft, Miss Elizabeth«, meldete Hetty. »Vor einer halben Stunde habe ich ihr die Augen geschlossen und sie auf die Seite gedreht. Der Spirituskocher und die Sachen, die Sie brauchen, um sie zu füttern, stehen in Ihrem Ankleidezimmer. Wann soll ich Sie ablösen? Vergessen Sie nicht, daß Sie seit gestern nacht nicht geschlafen haben.«
Sie standen bei angelehnter Tür vor Elizabeths Zimmer. Eine einzige Glühbirne brannte im Flur. Da Strom gespart werden mußte, hatten sie beschlossen, später, wenn alle zu Bett gegangen waren, eine Petroleumlampe auf den kleinen Tisch zu stellen, der neben der Tür zu Elizabeths Zimmer stand.
»Mein Vater und Sergeant Cox fahren morgen früh um sechs zum Emu Lake hinaus, Hetty«, sagte Elizabeth. »Bitte stehen Sie doch so rechtzeitig auf, daß Sie ihnen das Frühstück machen und ihnen Proviant für unterwegs mitgeben können. Ich habe Dr. Knowles alles erklärt, und er sagte mir, daß er bis morgen nachmittag bleiben wird.«
»Was meint er denn? Gibt es eine Chance für die arme Person da drinnen?«
»Wir hoffen es, Hetty.«
»Und Sergeant Cox – weiß er, wer sie ist?«
Elizabeth schüttelte den Kopf.
»Nein. Bis jetzt noch nicht. Kein Mensch scheint sie zu kennen. Aber gehen Sie jetzt zu Bett, Hetty. Sie sind sicher müde.«
»Ja, gut. Gute Nacht, Miss
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