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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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begegnen sich wieder. Was sagt ihr jetzt?»
    Traurig sagte Großvater: «Ich empfinde nichts als Bedauern.»
    Kommandant Jiang sagte: «Ich werde dich bei der Regierung melden, weil du das entsetzliche Verbrechen begangen hast, den Krieg gegen Japan auf dem Schlachtfeld von Ost-Jiao zu behindern.»
    Pockennarbe Leng schlug ihm die Peitsche ins Gesicht. «Du hast weiche Knochen und ein hartes Mundwerk.»»
    «Bringt sie ins Dorf!» befahl Leng seinen Leuten mit einer leichten Handbewegung.
    In dieser Nacht schlug eine Leng-Einheit in unserem Dorf ihr Lager auf. Die Gefangenen des Jiao-Gao-Regiments und der Eisengesellschaft wurden in einem Zelt untergebracht, wo sie ein Dutzend Soldaten mit Maschinenpistolen bewachte. Um sich nicht in Gefahr zu bringen, wagten es die Gefangenen nicht, irgend etwas Unvorsichtiges zu unternehmen. Das Stöhnen der Verwundeten und das Weinen der jungen Soldaten, die sich nach ihren Müttern, Frauen und Geliebten sehnten, brach die ganze Nacht nicht ab.
    Wie ein verletzter Vogel kuschelte sich Vater in Großvaters Arme und lauschte seinem Herzschlag. Einmal schlug es schnell, dann wieder langsam, wie das Lied klingender Glocken. Ein sanfter warmer Südwind wiegte ihn in den Schlaf, den nur Träume von einer Frau störten, die Großmutter und Qian’er zugleich ähnlich sah. Sie streichelte sein verwundetes Glied mit heißen Fingern und ließ Blitzstrahlen sein Rückgrat entlangfahren. Er erwachte erschreckt und hatte das Gefühl, etwas verloren zu haben. Die Klagerufe der Lebenden und der Sterbenden schwebten von den Feldern herüber und erinnerten ihn an seinen Traum. Erschreckt und verwirrt wagte er nicht, sich Großvater anzuvertrauen. Er richtete sich auf und erblickte durch ein Loch in der Zeltplane die Milchstraße. Plötzlich überkam es ihn : Ich bin beinahe sechzehn !
    Am Morgen bauten die Leng-Truppen einige Zelte ab und zogen dicke Seile aus den Planen. Sie banden die Gefangenen in Fünfergruppen aneinander und zerrten sie zu den Weiden an der Bucht, an die am vorigen Abend die Eisengesellschaft ihre Pferde gebunden hatte. Füßchen Jiang, Großvater und Vater banden sie an einen Baum direkt am Ufer. Vater stand vor Großvater und Füßchen Jiang hinter ihm. Sie standen im Schlamm, der von Pferdepisse durchtränkt war, und in einem Haufen Pferdeäpfel, die auseinandergefallen waren und unter einer glänzenden Membran halbverdautes Gras und Hirsekörner freigaben. Von dem Kräuterarzt und seinem Maultier waren nur noch blutige Gerippe übrig. Das Grab Yu Dayas lag unter einem einsamen Baum an der Bucht. Die weißen Wasserlilien waren mit dem Wasserspiegel aufgestiegen, und die jungen Blätter schwammen auf der Oberfläche. Die gelbblühende Entengrütze war gerissen und gab, wenn schwimmende Kröten ihre Ruhe störten, für eine kurze Zeit grüne Wasserstreifen frei, bevor sie sich wieder schloss. Jenseits der nackten Dorfmauer sah Vater die alten Narben in den jungen Feldern. Die Reste des dahingeschlachteten Trauerzugs lagen wie eine riesige verrottende Schlange auf der Straße. Ein paar Soldaten der Einheit Leng zerteilten die Leichen toter Pferde, und der Gestank von dunkelrotem Blut zog durch die kühle Luft.
    Vater hörte, wie Füßchen Jiang, der Kommandant des Jiao-Gao-Regiments, einen tiefen Seufzer ausstieß, und wandte ihm das Gesicht zu. Auch Großvater drehte sich um, und Vater sah, wie sie Blicke des tiefsten Elends austauschten. Unter schweren, erschöpften Lidern lagen Augen ohne Hoffnung. Die Wunde in Großvaters Schulter hatte zu eitern begonnen, und der faulige Geruch zog die rötlichen Bremsen an, die sich am Aas von Menschen und Eseln gütlich taten. Der Verband um Füßchen Jiangs Fuß hatte sich gelöst und hing wie ein Stück Wursthaut um den Knöchel. Aus der Stelle, wo ihn Großvaters Kugel getroffen hatte, sickerte schwarzes Blut.
    Vater schien es, als versuchten Großvater und Füßchen Jiang etwas zu sagen, aber es fiel kein Wort. Er seufzte und wandte seinen Blick wieder der weiten schwarzen Ebene zu, die von milchig weißem Nebel verhangen war. Die Geister der zu Unrecht Getöteten stimmten über der Ebene ein Klagegeheul an, das seine Ohren dröhnen und seine Augen tränen ließ. Er sah zu, wie die Soldaten der Leng-Truppe große blutige Fetzen Pferdefleisch zum Ufer an der Bucht schleppten. Über ihnen flog schwerfällig eine Krähe zum Weidenhain. Ein Stück Pferdedarm hing ihr aus dem Schnabel.
    Über achtzig Soldaten des Jiao-Gao-Regiments und

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