Das Rote Kornfeld
umher. Ihr smaragdgrünes und gelbes Gefieder leuchtete zwischen den Wasserpflanzen.
Der Stumme ging zu Kommandant Yu hinüber. In der einen Hand hielt er sein Messer, in der anderen die alte Hanyang-Flinte. Er sah niedergeschlagen aus, und seine Augen wirkten leblos. Er zeigte auf die Sonne, die im Südosten stand, und dann auf die verlassene Landstraße. Schließlich deutete er auf seinen Bauch, grunzte und zeigte ausdrucksvoll in die Richtung, wo das Dorf lag. Kommandant Yu dachte kurz nach und rief dann den Männern auf der Westseite der Straße zu: «Kommt alle hierher!»
Der Trupp überquerte die Straße und stellte sich auf der Böschung auf.
«Brüder»», sagte Kommandant Yu, «wenn Pockennarbe Leng versucht, seine Spielchen mit uns zu treiben, reiß ich ihm seinen verdammten Kopf ab. Noch steht die Sonne nicht ganz im Zenit, also werden wir noch ein bisschen warten. Wenn der Konvoi bis Mittag nicht gekommen ist, ziehen wir zum Wasserloch der Familie Tan und rechnen mit Leng ab. Jetzt legt euch erst einmal ins Hirsefeld und ruht euch aus. Ich schicke Douguan Essen holen. Douguan!»
Vater blickte zu Kommandant Yu auf.
Kommandant Yu befahl: «Sag deiner Mutter, die Frauen sollen Handkuchen backen. Sie soll dafür sorgen, dass das Essen bis zum Mittag hier ist. Sag ihr, sie soll es selber bringen.»
Vater nickte, zog die Hosen hoch, steckte den Browning in den Gürtel und rannte die Böschung entlang. Ein kurzes Stück lief er auf der Straße nach Norden, dann nahm er die Abkürzung durchs Hirsefeld in Richtung Nordwesten und schlängelte sich zwischen den Pflanzen durch. Im Hirsemeer stieß er auf die Gebeine eines Maultiers. Er trat gegen einen Knochen, und ein paar kurzschwänzige pelzige Erdmäuse, die sich am Knochenmark gütlich getan hatten, huschten heraus. Sie sahen ihn furchtlos an und krochen dann wieder zurück in die Knochen. Der Anblick erinnerte ihn an die zwei Maultiere der Familie, erinnerte ihn daran, wie der durchdringende Gestank des Todes noch lange nachdem die Straße gebaut war, jedes Mal im Dorf zu riechen war, wenn Südostwind aufkam.
Im Jahr davor hatte man die aufgetriebenen Kadaver von Dutzenden von Maultieren gefunden, die den Schwarzwasserfluß hinabgetrieben waren und sich im flachen Schilfgelände am Ufer verfangen hatten. Ihre aufgeblähten Bäuche platzten unter der Hitze der Sonne und gaben Gedärme frei, die prachtvoll waren wie blühende Blumen. Langsam vermischten sich Pfützen dunkelgrüner Flüssigkeit mit dem strömenden Wasser.
5
Als meine Großmutter sechzehn war, verlobte ihr Vater sie mit Shan Bianlang, dem Sohn von Shan Tingxiu, einem der reichsten Männer in der Gemeinde Nordost-Gaomi. Die Familie Shan besaß eine Brennerei und stellte aus billiger Hirse einen starken Schnaps von hoher Qualität her, der in der ganzen Gegend berühmt war. Die Gemeinde Nordost-Gaomi besteht im wesentlichen aus einer sumpfigen Tiefebene, die im Herbst vom Regen überflutet wird. Aber weil die hohen Hirsehalme wasserunempfindlich sind, wurde überall Hirse angebaut und brachte regelmäßig Rekordernten. Weil sie für ihren Schnaps billiges Getreide verwendete, verdiente die Familie Shan gut, und für meinen Urgroßvater war es ein großer Erfolg, dass er seine Tochter an sie verheiraten konnte. Viele Familien in der Gegend hatten davon geträumt, in die Familie Shan einzuheiraten, auch wenn das Gerücht umlief, Shan Bianlang habe die Lepra. Sein Vater war ein runzliger, kleiner Mann mit einem schäbigen Zopf, und obgleich seine Schränke voll von Gold und Silber waren, trug er zerfetzte, schmutzige Kleider und benutzte oft einen alten Strick als Gürtel.
Dass Großmutter in die Familie Shan einheiraten sollte, war der Wille des Himmels. Der Wille des Himmels manifestierte sich an einem Tag, an dem sie und ihre Spielkameradinnen mit ihren kleinen Füßen und langen Zöpfen auf der Schaukel saßen. Es war das Frühlingsfest, der Tag, an dem man die Gräber der Ahnen pflegt. Die Pfirsichbäume trugen helle Blüten, die Weiden waren grün, ein leichter Regen fiel, und die Gesichter der Mädchen glichen Pfirsichblüten. Für sie war es ein Tag der Freiheit. In diesem Jahr hatte Großmutter die stattliche Größe von einem Meter sechzig erreicht und wog sechzig Kilo. Sie trug eine geblümte Baumwolljacke über grünen Samthosen, die an den Knöcheln von scharlachroten Seidenbändern gehalten wurden. Wegen des Nieselregens trug sie bestickte Pantoffeln, die mit Holzöl
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