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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Luohan vom Maultier, machte ein paar taumelnde Schritte und brach dann fast zusammen. Er schob sich zwischen Großvater und das schwarze Maultier und griff mit schwacher Hand nach der Pistole. «Zhan’ao», sagte er, «komm zu dir!»
    Als er in Onkel Luohans altvertrautes Gesicht blickte, verwandelte sich Großvaters kochende Wut in siedenden Kummer, und Tränen liefen ihm übers Gesicht. «Onkel», sagte er mit erstickter Stimme, «alle beide ... Mutter und Tochter . ..es ist entsetzlich.»
    Vom Kummer überwältigt, hockte er auf dem Boden. Onkel Luohan half ihm auf die Füße und sagte: «Direktor Yu, der Edle wartet ein Jahrzehnt, bis er Rache nimmt. Du solltest ins Dorf gehen und dich um alles kümmern, damit die Toten in Frieden ruhen können.»
    Sich mühsam auf den Füßen haltend, stolperte Großvater ins Dorf, und Onkel Luohan folgte ihm mit den beiden Maultieren.
    Zweite Großmutter war nicht tot. Sie blickte Großvater und Onkel Luohan, die neben dem Bett standen, in die Augen. Großvater sah ihre üppigen schweren Wimpern, die brechenden Augen, die blutig gebissene Nase, die zerkratzten Wangen und die geschwollenen Lippen, und sein Herz fühlte sich an, als habe es ein Messerhieb durchschlagen. Der brennende Schmerz mischte sich mit einer Erregung, deren er nicht Herr werden konnte.
    Kleine Wassertropfen quollen aus ihren Augenwinkeln, und die Lippen zitterten schwach, als sie ausrief: «Geliebter ...»
    «Lian’er ...» , rief Großvater verzweifelt.
    Schweigend verließ Onkel Luohan den Raum.
    Großvater beugte sich über das Bett und zog Zweiter Großmutter die Kleider wieder an. Sie schrie auf, wenn seine Hand ihre Haut berührte, und fing an zu toben wie damals, als sie von dem Wiesel besessen war. Er hielt ihre Arme fest und zog ihr die Hosen über den toten, beschmutzten Unterleib.
    Onkel Luohan kam ins Zimmer. «Direktor Yu, ich habe bei den Nachbarn einen Wagen geliehen... Wir bringen Mutter und Tochter nach Hause, bis es ihnen bessergeht ...»
    Er wartete auf ein Zeichen von Großvater. Der nickte.
    Onkel Luohan griff nach zwei Decken und breitete sie draußen auf dem Boden des hochrädrigen Wagens aus. Großvater nahm Zweite Großmutter auf die Arme. Ein Arm lag unter ihrem Nacken, der andere unter den Knien, als trage er einen Schatz von unschätzbarem Wert. Vorsichtig stieg er über die Türschwelle und ging hinaus. Er trug sie über den Hof, in dem noch die Hufspuren der japanischen Pferde zu sehen waren. Er ging durch das zerbrochene Tor auf die Straße, wo ein großer Wagen mit Speichenrädern auf sie wartete. Die Deichsel zeigte nach Südosten. Onkel Luohan spannte eines der Maultiere ein. Das schwarze Maultier, das Großvater blutig gepeitscht hatte, wurde hinten angebunden. Großvater legte meine schreiende Zweite Großmutter, deren Augen nur noch waagerechte Schlitze waren, auf den Wagenboden. Er musste sie nur ansehen, um zu wissen, wie sie sich bemühte, tapfer zu sein, aber er wusste auch, dass ihre Kräfte kaum mehr reichten.
    Als Zweite Großmutter versorgt war, drehte er sich um und sah Onkel Luohan mit tränenüberströmtem Gesicht auf sich zukommen. In den Armen trug er die Leiche meiner kleinen Tante Xiangguan. Großvaters Kehle schien von einer eisernen Zange zusammengeschnürt. Tränen flossen über seine Nase, in seinen Mund, in seine Kehle. Er hustete und würgte. Er hielt sich an der Wagenachse fest, blickte zum Himmel auf und sah den riesigen achteckigen smaragdfarbenen Feuerball der Sonne, der sich wie ein wild gewordenes Wagenrad vom Südosten her auf ihn zuwälzte.
    Großvater, der die Leiche meiner kleinen Tante im Arm hielt, blickte hinab auf ein von unerträglichem Schmerz verzerrtes Gesicht. Zwei heiße Altmännertränen fielen zur Erde. Er legte die Leiche meiner kleinen Tante neben den toten Unterleib meiner Zweiten Großmutter, hob eine Ecke der Decke hoch und bedeckte das entsetzte Gesicht meiner kleinen Tante.
    «Steig auf, Direktor Yu», sagte Onkel Luohan.
    Großvater saß teilnahmslos auf dem Geländer und ließ die Beine an der Seite herabhängen.
    Onkel Luohan ließ die Zügel schnalzen. Er beugte sich zu dem schwarzen Maultier vor, und mit schwerem Achsendrehen begann der Wagen voranzurollen. Das trockene ungeölte Sandelholz stöhnte schwer, dann quietschten die Räder laut, und der Wagen bewegte sich mühsam aus dem Dorf an der Salzwassermündung und auf die Straße zu unserem Dorf, wo der Duft von Hirsebrand in der Luft lag. Schlaglöcher in der

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