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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Musiker sich nicht angestrengt und waren bei einer eintönigen unbedeutenden Melodie geblieben.
    Ein verschrumpelter alter Mann war mit einem Korb voll Kupfermünzen aus dem Haus gekommen, hatte ein paar Münzen auf den Boden gestreut und mit krächzender Stimme gerufen: «Trinkgeld ... Trinkgeld ...» Die Sänftenträger und Musiker hatten zugesehen, wie die Münzen in die Pfützen fielen, aber keiner hatte sich angeschickt, sie aufzuheben. Der alte Mann hatte den Blick über die Männer schweifen lassen, die reglos vor ihm standen. Dann hatte er sich gebückt, um die Münzen eine nach der anderen wieder einzusammeln. Das war der Augenblick gewesen, in dem Yu Zhan’ao zum ersten Mal daran dachte, das Schwert in seinen runzligen Nacken zu stoßen.
    Jetzt erleuchteten Flammen das Gehöft und die Sprüche, die am Tor angeschlagen waren. Er konnte ein wenig lesen, und als er die Sprüche entzifferte, vertrieb auflodernde Entrüstung jede Spur kühler Überlegung aus seinem Herzen. Mit logischen Argumenten sprach er sich von jeder Schuld frei : Der gute Tod ist nicht der, für den man Gutes tut, um Verdienst für zukünftige Leben zu erwerben; der sicherste Weg zu Reichtum und Macht sind Mord und Brandstiftung. Außerdem hatte er der jungen Frau sein Wort gegeben, und den Sohn des alten Mannes hatte er schon umgebracht. Wenn er den Vater verschonte, würde er ihn nur dem Schmerz aussetzen, die Leiche seines Sohnes zu sehen. Es gab keinen Weg zurück. Er hatte die Flasche umgestoßen und das Öl verschüttet. Jetzt musste er der jungen Frau ein neues Leben bereiten. «Alter Shan», murmelte er, «alter Shan, heute in einem Jahr werden sie die erste Jahresmesse für dich lesen !»
    Das Feuer erstarb und gab den Hof der Dunkelheit und den Himmel den Sternen zurück. Nur ein paar Funken waren noch in dem Blätterhaufen zu sehen. Goss man Wasser auf die Glut, stiegen weißer Dampf und glühende Asche meterhoch in die Luft, um sich dann zu verflüchtigen. Die Männer standen, Eimer in den Händen, in langer Reihe da, und ihre Schatten tanzten über dem Boden.
    «Nehmt es Euch nicht zu Herzen, Chef», ließ sich die Stimme der Vernunft vernehmen, «auf Verlust folgt Gewinn.»
    «Das Schicksal ist blind ... das Schicksal ist blind ...», murmelte Shan Tingxiu.
    «Lasst die Leute sich ausruhen, Chef. Sie müssen morgen früh wieder arbeiten.»
    Die Männer taumelten ermüdet ins östliche Gehöft. Yu Zhan’ao versteckte sich hinter der Trennwand und lauschte dem Klappern der Eimer, die an Tragstangen vorbeigetragen wurden. Dann wurde es still. Shan Tingxiu stand noch immer im Tor und murmelte: «Das Schicksal ist blind.»» Schließlich hörte auch er auf und trug seinen Tonkrug wieder ins Haus. Die beiden Hunde der Familie folgten ihm. Offenbarwaren sie völlig erschöpft, denn als sie Yu Zhan’ao bemerkten, schlugen sie nur ein-, zweimal an und trotteten dann in ihren Verschlag, ohne noch einmal Laut zu geben.
    Yu Zhan’ao konnte hören, wie das große Maultier im Ostgehöft mit den Zähnen knirschte und mit den Hufen scharrte. Die drei Glückssterne standen am westlichen Himmel, also musste es nach Mitternacht sein. Er raffte sich auf, zog sein Schwert, wartete, bis Shan Tingxiu nur noch drei oder vier Schritte von der Tür entfernt war, und stürzte sich dann mit so viel Schwung auf ihn, dass sich das Schwert bis zum Griff in der Brust des Alten vergrub. Der stürzte mit ausgebreiteten Armen nach hinten, als wolle er sich im Flug in die Luft erheben, und blieb dann auf dem Rücken liegen. Der Tonkrug fiel zu Boden und zersprang wie eine aufblühende Blume. Die Hunde bellten drei- oder viermal müde und kümmerten sich dann um nichts mehr. Yu Zhan’ao zog das Schwert aus der Wunde, wischte beide Seiten der Klinge an den Kleidern des Alten ab und wandte sich zum Gehen. Aber dann hielt er inne.
    Er schleppte die Leiche Shan Bianlangs in den Hof, zog ein Stück Seil von einer Tragstange an der Mauer, band die beiden Leichen an den Hüften aneinander und trug sie hinaus auf die Straße. Sie hingen schlaff von seiner Schulter, und die Füße zogen Muster in den Staub. Das Blut, das aus ihren Wunden quoll, zeichnete rote Bilder auf den Boden. Yu Zhan’ao trug die Leichen Shan Tingxius und seines Sohnes zur Bucht am Westrand des Dorfes. In der glasklaren Wasserfläche spiegelten sich die Sterne. Ein paar schläfrige weiße Wasserlilien lagen graziös dahingestreckt wie Märchengestalten im Wasser. Als der Stumme dreizehn Jahre

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