Das Rote Kornfeld
Perlen an den Blättern.
«Einen Silberdollar! Wer taucht?»
Immer noch keine Antwort.
Aus der Bucht stieg ätzender Gestank auf. Eine purpurrote Blutpfütze unter den Wasserpflanzen verbreitete faulig roten Glanz, in dem sich die Hirse am Ufer spiegelte. Über dem Feld ging die Sonne auf wie ein Hirsesack. Sie war oben weiß, unten grün und dampfte wie glühendes Blech. Über den Hirsespitzen am Horizont zog sich eine schwarze Wolkenbank weit in die Ferne. Ihre Ränder waren so glatt, dass man seinen Augen nicht trauen wollte. Die Bucht funkelte wie ein goldener Fluss, auf dem weiße Wasserlilien trieben, als stammten sie aus einer anderen Welt.
«Also, wer taucht für einen Silberdollar?» fragte Shan Wuhou mit dröhnender Stimme.
Eine zweiundneunzigjährige Frau aus dem Dorf erzählte mir später davon. «Wer wäre denn schon in eine Bucht voll Leprablut getaucht, und wenn es um die eigene Mutter gegangen wäre? Wer ins Wasser ging, wäre krank herausgekommen, und wären es zwei gewesen, alle beide. Nicht für alles Geld der Welt... Und an all dem Unheil waren deine Großmutter und dein Großvater schuld!» Mir gefiel es nicht, dass die alte Frau meinen Großeltern die Schuld zuschieben wollte, aber ich blickte auf ihren kahlen Schädel, der so glatt war wie ein Tontopf, und lächelte nur milde.
«Keiner will tauchen? Nicht ein einziger von euch Armleuchtern? Dann lassen wir Vater und Sohn eben im Wasser. Alter Liu, ja, Liu Luohan, du bist der Vorarbeiter. Also gehst du in die Stadt und meldest das Ganze Schuhsohlen-Cao dem Zweiten.»
Onkel Liu Luohan schlang ein paar Bissen hinunter, spülte mit einem halben Krug Branntwein nach, holte eines der schwarzen Maultiere aus dem Stall, legte ihm ein Stück Sackleinen auf den Rücken, schlang die Arme um seinen Hals und schwang sich so in den Sattel. Mit düsterem Gesicht, ob aus Ärger oder aus Groll, machte er sich auf den Weg in die Bezirkshauptstadt. Er selbst war es gewesen, der den Mord an seinem Herrn und dessen Sohn entdeckt hatte. Irgend etwas an dem Brand war ihm seltsam vorgekommen, und so war er im Morgengrauen aufgestanden, um nach dem Rechten zu sehen. Erstaunt sah er, dass das Tor zum Westgehöft weit offenstand. Dann entdeckte er im Hof das Blut auf dem Boden und noch mehr Blutspuren im Haus. In seiner Verwirrung ahnte er doch, dass das Feuer und das vergossene Blut irgend etwas miteinander zu tun hatten.
Da Onkel Luohan und die anderen Arbeiter wussten, dass der junge Herr Lepra hatte, betraten sie das Westgehöft nur, wenn es unbedingt notwendig war, und auch dann nur, nachdem sie sich von oben bis unten mit Schnaps eingerieben hatten. Onkel Luohan hielt Hirsebrand für ein wirksames Desinfektionsmittel gegen böse Keime jeder Art. Deshalb war niemand bereit gewesen zu helfen, als Shan Bianlangs Braut ins Gehöft kam, und er hatte ihr gemeinsam mit einem zweiten alten Mann aus der Sänfte helfen müssen. Als er sie am Arm hielt und ins Haus führte, schaute er sie aus dem Augenwinkel an, sah ihre zarten gebundenen Füße und ihr geschwungenes Handgelenk, das so groß war wie eine Lotoswurzel, und konnte ein Seufzen nicht unterdrücken. Und so tauchten mitten in dem Schrecken über den Mord am alten Shan und seinem Sohn vor seinem inneren Auge immer wieder Großmutters schlanke Füße und ihr geschwungenes Handgelenk auf, und beim Anblick all des vergossenen Bluts schwankten seine Gefühle zwischen Kummer und Freude.
Onkel Luohan trieb das große schwarze Maultier mit der Peitsche an und wünschte, es wüchsen ihm Flügel und es könnte ihn im Flug in die Stadt tragen. Er wusste, dass noch eine Menge Aufregung bevorstand, denn morgen früh würde die blütengleiche junge Braut mit der jadehellen Haut auf ihrem Esel zurückkehren. Wer würde der Erbe des gewaltigen Besitzes der Familie Shan sein? Über solche Fragen sollte man wohl am besten Cao Mengjiu entscheiden lassen. Nach dreijähriger Amtszeit im Bezirk Gaomi hatte sich Cao den Ehrentitel «aufrechter Beamter» verdient. Man sprach davon, wie er mit göttlicher Weisheit, donnergleicher Energie und der Eile des Wirbelsturms Streitfragen entschied; davon, wie gerecht und ehrbar er war; dass er seine Verwandten nie bevorzugte; davon, dass er ohne mit der Wimper zu zucken Todesurteile verhängte. Onkel Luohan versetzte dem Maultier noch einen Schlag.
Das Maultier raste nach Westen, als sprühten Funken aus seinem Hintern. Im Galopp schlugen die hinteren Hufe gegen den Boden, während das
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