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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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später Yu Zhan’aos Onkel Yu Daya erschoss, führte der Fluss an dieser Stelle kaum mehr Wasser, aber die Lilien waren noch da. Er ließ die Leichen in die Bucht fallen. Sie klatschten laut auf dem Wasser auf und sanken dann schnell zum Grund. Die Wellen glätteten sich, und der Wasserspiegel gehörte wieder den Sternen.
    Yu Zhan’ao wusch sich die Hände und das Gesicht im Fluss und spülte die Klinge seines Schwerts. Aber alles Waschen und Scheuern konnte den Geruch von Blut und Schimmel nicht besiegen. Als er sich auf den Weg nach Westen machte, vergaß er seinen Regenumhang am Gehöft der Familie Shan. Ein paar hundert Meter außerhalb des Dorfs schlug er sich in die Felder und brach erschöpft zusammen. Plötzlich merkte er, wie müde er war, legte sich, ohne auf die Bodenfeuchtigkeit zu achten, auf den Rücken, blickte noch einmal zu den Sternen auf und schlief ein.
     
     
5
     
    Dorfvorsteher Shan Wuhou war noch in derselben Nacht irgend etwas an dem Brand nicht ganz geheuer. Er dachte ernsthaft daran, aufzustehen und in Erfüllung seiner Amtspflichten an den Löscharbeiten teilzunehmen. Aber die sinnliche Opiumverkäuferin, die man das kleine weiße Lamm nannte, schlang ihre Arme um ihn und ließ ihn nicht gehen. Vor Jahren hatten zwei Räuberbanden einen erbitterten Kampf um das Mädchen mit der hellen Haut und den einladenden Augen ausgefochten. Die Banditen sprachen von einer «Schlacht um ein Vogelnest».
    Im Jahre 1923 stand Cao Mengjiu seit fast drei Jahren als Bezirksrichter von Gaomi im Dienst der Regierung der Nördlichen Kriegsherren, und seine «drei Fackeln» brannten hell. Cao Mengjiu gehörte zu den historischen Gestalten der Gegend. Gewiss, weder sein Ruhm noch seine Taten reichten an die Helden des Altertums heran, etwa den berühmten Premierminister von Qi, Yan Ying, oder Zhen Xuan, den großen Gelehrten der Östlichen Han-Dynastie, aber die Leute, die sich später in der Zeit der «Großen Proletarischen Kulturrevolution» im Bezirk Gaomi wichtig machten, überragte er um Haupteslänge. Seine Lieblingsstrafe waren Schläge mit der Schuhsohle. Daher sein Spitzname «Schuhsohlen-Cao der Zweite». Er hatte fünf Jahre in einer Privatschule und längere Zeit in der Armee zugebracht. Für ihn gab es nur drei große Landplagen : Banditentum, Opium und Glücksspiel, und man konnte die Welt nur retten, wenn man die Banditen ausrottete, das Opium verbannte und das Glücksspiel verbot. Da er aber selbst in allerlei krumme Geschäfte und seltsame Affären verwickelt war, wurde niemand wirklich schlau aus ihm. Es gibt unzählige Geschichten über ihn, die sich die Einwohner von Gaomi noch heute erzählen. Er war ein vielschichtiger Mensch, dem Kategorien wie «gut» oder «böse» nicht gerecht werden können, und er hatte in mancherlei Weise mit meiner Familie zu tun. So soll auch er in dieser Erzählung erwähnt werden.
    In den gut zwei Jahren, die er nun schon im Amt war, hatte sein Kampf gegen die drei Landplagen beachtliche Erfolge erzielt. Aber die Gemeinde Nordost-Gaomi lag weit von der Bezirkshauptstadt entfernt, und hinter den Kulissen blühten trotz aller drakonischen Strafen weiterhin Banditentum, Opiumhandel und Glücksspiel.
    In die Arme des kleinen weißen Lamms geschmiegt, schlief Dorfvorsteher Shan Wuhou bis zum Morgengrauen. Sie war es, die als erste aufwachte, die Öllampe anzündete, ein Kügelchen Opium auf eine Silbernadel steckte und es über die Flamme hielt. Als es Feuer gefangen hatte, stopfte sie es in eine Silberpfeife, die sie Shan Wuhou reichte. Der rollte sich im Bett zusammen und nahm ein paar Züge. Ein kleiner weißer Glutpunkt strahlte auf der Kugel auf und erlosch wieder. Zwei Minuten hielt er den Atem an und stieß dann dünne blaue Rauchschwaden aus Mund und Nase. In diesem Augenblick klopfte ein Arbeiter der Familie Shan laut hämmernd an die Tür und rief:
    «Dorfvorsteher! Schreckliche Nachrichten! Es hat einen Mord gegeben!»
    Shan Wuhou folgte ihm mit ein paar Mann zum Anwesen der Familie Shan. Dann verfolgten sie die Blutspur, die zur Bucht westlich des Dorfes führte. Die Menge, die ihnen folgte, wurde immer größer.
    «Die Leichen müssen im Fluss liegen», sagte Shan Wuhou.
    Niemand gab einen Laut von sich.
    «Wer taucht und holt sie herauf?»
    Niemand rührte sich. Schweigend blickten die Männer einander an.
    Das smaragdgrüne Wasser war glatt wie ein Spiegel. Wasserlilien trieben ruhig auf der Oberfläche. Einzelne Tautropfen hingen wie feuchte runde

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