Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
Vom Netzwerk:
daran, dann ließ sie ihn über die Zunge rollen. Dann nahm sie einen Schluck, um das Aroma zu genießen. Der Branntwein war erstaunlich reich und ein wenig ätzend. Sie nahm einen ordentlichen Schluck und ließ ihn über die Zunge gleiten. Ihre Wangen glätteten sich, als hätte man sie mit Seidenwatte gestreichelt. Ihre Kehle entspannte sich, und die warme Flüssigkeit glitt durch den Hals. Alle Poren ihres Körpers öffneten und schlossen sich, und ein Gefühl unglaublicher Freude erfüllte ihren Körper. Sie trank schnell hintereinander drei Schluck, und ihr Bauch fühlte sich an, als massiere ihn eine gierige Hand. Schließlich warf sie den Kopf zurück und leerte die Schöpfkelle. Jetzt war ihr Gesicht gerötet, und ihre Augen funkelten. Noch nie war sie so schön, so unwiderstehlich gewesen. Die Männer ließen ihre Arbeit liegen und starrten sie ungläubig an.
    «Herrin, du kannst aber wirklich trinken», sagte einer von ihnen bewundernd.
    «Es ist das erste Mal in meinem Leben», erwiderte sie bescheiden.
    «Wenn das das erste Mal war, dann schaffst du mit ein bisschen Übung leicht einen ganzen Krug», lobte er sie.
    Der Hirsebrand sprudelte aus den Hähnen, ein Krug nach dem anderen füllte sich. Die vollen Krüge wurden neben dem Brennholz gestapelt. Plötzlich kletterte Yu Zhan’ao von seinem Holzhaufen, knöpfte die Hose auf und pisste in einen der überquellenden Krüge. Die Männer sahen wie gelähmt zu, als der kristallklare Strom sich in den Branntweinkrug ergoss und ihn zum Überlaufen brachte. Als er fertig war, grinste er über das ganze Gesicht und wankte dann auf Großmutter zu, die mit hochroten Wangen dasaß. Sie rührte sich nicht vom Fleck. Er nahm sie in die Arme und küsste ihr Gesicht. Sie wurde blass, stolperte und ließ sich schwer auf ihren Hocker fallen.
    «Das Kind in deinem Bauch», fragte er zornig, «ist es nun von mir oder nicht?»
    Großmutter weinte. «Wenn du es sagst. ..»
    Yu Zhan’aos Augen glänzten, und seine Muskeln spannten sich wie bei einem Pferd oder einem Maultier, das sich im Schlamm gewälzt hat und jetzt aufsteht. Er zog sich bis auf die Unterhosen aus. «Und jetzt seht zu, wie ich den Destillator reinige!»
    Den Destillator zu reinigen ist die härteste Arbeit in der Brennerei. Wenn kein Branntwein mehr aus den Hähnen fließt, nimmt man den Zinndestillator ab. Dann hebt man den wabenförmigen Holzdeckel vom hölzernen Destillator, der voll von dunkelgelber, glühendheißer Maische ist. Yu Zhan’ao kletterte auf eine Bank und presste die Maische mit einer Holzschaufel in den Rahmen. Seine Bewegungen waren so kontrolliert, dass es aussah, als benutze er nur die Unterarme. Von der Hitze wurde seine Haut scharlachrot, und schnapsduftender Schweiß rann in Strömen über seinen Rücken.
    Mein Großvater Yu Zhan’ao arbeitete mit so vollendeter Meisterschaft, dass Onkel Luohan und die anderen ihm voll Ehrfurcht zuschauten. Jetzt zeigte er die Fähigkeiten, die monatelang verborgen geblieben waren. Als er fertig war, trank er einen Schluck und sagte zu Onkel Luohan : «Vorarbeiter, das ist nicht alles, was ich kann. Sieh einmal her. Wenn der Brand durch die Hähne fließt, verflüchtigt sich der Dampf. Wenn man einen zweiten, kleineren Destillator über die Hähne setzt, hätte man nur noch Hirsebrand erster Qualität.»
    Onkel Luohan schüttelte den Kopf. «Das bezweifle ich.»
    «Wenn es nicht so ist», sagte Großvater, «könnt ihr mir den Kopf abschlagen.»
    Onkel Luohan blickte zu Großmutter hinüber, aber die schnüffelte nur ein paar Mal. «Davon verstehe ich nichts. Das ist mir egal. Macht, was ihr wollt.»»
    Schluchzend lief sie ins westliche Gehöft zurück.
    Von diesem Tag an waren Großvater und Großmutter unzertrennlich wie ein Paar Mandarinenten oder Phönixe. Ihre unerfüllte, besessene Zurschaustellung von Liebesrausch und Begierde wurde für Onkel Luohan und die Arbeiter, die alldem nicht folgen konnten, zur Qual. Ihre Sensibilität war derart überfordert, dass sie nicht mehr zu sagen wussten, ob sie einen süßen, einen sauren, einen bitteren oder einen salzigen Geschmack verspürten. Sie waren überwältigt von finsteren Vorahnungen, die sie nicht in Worte zu fassen wussten. Doch allmählich wurden sie alle zu getreuen Gefolgsleuten meines Großvaters.
    Großvaters technische Neuerungen krempelten den Brennereibetrieb um und schenkten der Gemeinde Nordost-Gaomi ihren ersten Hirsebrand der Sonderqualität. Die Männer wagten nicht, den Krug

Weitere Kostenlose Bücher