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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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fortzuräumen, in den er sich erleichtert hatte. So schoben sie ihn in die Ecke und ließen ihn dort stehen. Als später eines Nachmittags ein kräftiger Südostwind den Duft von Hirsebrand über dem Anwesen verbreitete, fiel den Leuten plötzlich das ungewöhnlich volle und reife Aroma auf. Onkel Luohan, der über einen hochentwickelten Geruchssinn verfügte, machte sich auf die Suche nach der Quelle des neuen Dufts. Zu seinem Erstaunen entdeckte er, dass es ein verpisster Schnapskrug war, der das Aroma verströmte. Ohne irgend jemandem etwas davon zu sagen, trug er den Krug in den Laden, schloss die Türen und Fenster, zündete die Öllampe an, drehte den Docht höher und untersuchte das Phänomen.
    Zuerst schöpfte er eine kleine Kelle voll Branntwein aus dem Krug und ließ ihn langsam zurückfallen. Dabei beobachtete er, wie die Flüssigkeit einen lindgrünen Vorhang bildete, der sich beim Aufprall auf die Oberfläche in eine vielblättrige Chrysanthemenblüte verwandelte. Der einmalige Duft des Hirsebrands verstärkte sich in diesem Augenblick. Jetzt schöpfte er einen kleinen Schluck ab, den er auf der Zungenspitze zergehen ließ. Dann nahm er einen kräftigen Schluck. Er spülte den Mund mit frischem Wasser und trank einen Schluck normalen Hirsebrand aus einem der anderen Krüge. Die Schöpfkelle fiel ihm aus der Hand. Er verließ eilig den Laden, stürzte durch das Tor des Westgehöfts, rannte über den Hof und rief: «Herrin! Gute Nachrichten!»
     
     
9
     
    Nachdem ihn Großmutter mit einem Paket gefüllter Klöße weggeschickt hatte, führte Urgroßvater fluchend und vor Zorn schnaubend seinen Esel nach Hause. Als er angekommen war, erzählte er meiner Urgroßmutter in abgehackten Sätzen und außer sich vor Wut, wie Großmutter den Bezirksrichter Cao als Pflegevater anerkannt und ihren wirklichen Vater verleugnet hatte. Empört über den Bericht, fügte sie ihre Verwünschungen den seinen hinzu. Wie sie so dastanden und fluchten, glichen sie zwei alten Kröten, die sich um einen Käfer streiten. Nach einiger Zeit sagte sie: «Alter, vergiss deine Wut! Das Sprichwort sagt:     «Na gut»», stimmte er zu, «ich gehe das kleine Scheusal in ein paar Tagen besuchen.»»
    Zwei Wochen später tauchte er auf seinem Esel vor dem fest verschlossenen Haupttor auf. Großmutter kümmerte sich nicht um sein Geschrei. Als er heiser war, ritt er wieder weg.
    Als Urgroßvater das nächste Mal kam, arbeitete Großvater schon in der Brennerei, und Großmutters fünf Hunde bildeten eine furchteinflößende Schutztruppe. Auf sein Klopfen am Tor antwortete von drinnen wütendes Bellen. Als die alte Liu das Tor öffnete, umringten ihn gleich die Hunde, die aber zunächst nichts taten, außer zu bellen. Mein armer Urgroßvater versuchte, die Hunde zu beschwichtigen. Mit dem Rücken lehnte er sich an den vor Angst zitternden Esel.
    «Wen suchst du ?» fragte ihn die alte Liu.
    «Wer bist du?» antwortete Urgroßvater empört. «Ich will meine Tochter besuchen.»
    «Und wer ist deine Tochter?»
    «Die Frau, die hier die Herrin ist.»
    «Warte! Ich sage ihr Bescheid.»
    Die alte Liu kam mit einem Silberdollar in der Hand wieder. «He, du da, alter Mann! Die Herrin sagt, sie hat keinen Vater, aber sie schenkt dir einen Silberdollar, damit du dir unterwegs gefüllte Klöße kaufen kannst.»
    «Du kleines Schwein», tobte Großvater, «hau ab! Für wen hält sie sich eigentlich, dass sie ihren eigenen Vater verleugnet, nur weil sie im Geld schwimmt?»
    Die alte Liu warf den Silberdollar auf die Erde. «Verschwinde, du eigensinniger alter Mann!» sagte sie. «Wenn du die Herrin wütend machst, wirst du schon sehen, was geschieht.»»
    «Ich bin ihr Vater»», insistierte er. «Sie hat ihren Schwiegervater umgebracht. Soll ihr eigener Vater das nächste Opfer sein?»»
    «Los», ermahnte ihn die alte Liu, «verschwinde! Sonst muss ich die Hunde auf dich hetzen.»»
    Sie gab den Hunden ein Zeichen, woraufhin sie sich enger um Urgroßvater drängten. Der grünliche Hund biss den Esel ins Bein. Der wieherte, riss sich los und rannte davon. Urgroßvater bückte sich, hob den Silberdollar auf und stolperte verschreckt hinter seinem Esel her. Bellend rannten ihm die Hunde bis vors Dorf nach.
    Als Urgroßvater seine Tochter das

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