Das Rote Kreuz - Geschichte einer humanitaeren Weltbewegung
Honoratiorenverein zur humanitären Weltmacht: Ein historischer Überblick
1. Das Rote Kreuz in Zeiten von Nationalismus und Militarismus (1865–1914)
50 Jahre und kein Grund zum Jubeln? Am 1. November 1914, also wenige Wochen nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges, veröffentlichte ein gewisser Otto Priewe das folgende Gedicht:
«Schwarz ist das Sinnen der Feindeswelt,
Die sich uns dräuend entgegenstellt,
Weiß ist der Schild, der uns makellos rein
Führt in den heiligen Kampf hinein,
Rot ist das Blut, das die Teuren gegeben,
Die für uns ließen im Kampf ihr Leben,
Und aus der blutigen Saat soll entstehn
Ein Deutschland, wie nimmer es gesehn,
Stets aber bleib’ uns in Not und Tod
Heilig das Banner: Schwarz, Weiß, Rot!»
Aus heutiger Sicht sind dies in der Tat äußerst befremdliche Zeilen. Zur damaligen Zeit aber war diese extreme Form militaristisch-nationalistischer Rhetorik alles andere als ungewöhnlich und lässt sich so oder in ähnlicher Weise in vielen Staaten Europas nachweisen. Überraschung erzeugt denn auch allenfalls das Publikationsorgan: «Das Rote Kreuz – Central-Organ für deutsche Wohlfahrts- und Wohltätigkeitsbestrebungen. Offizielle Zeitschrift der Deutschen Vereine vom Roten Kreuz» (Nr. 22/1914, S. 769). War nicht im selben «Central-Organ» noch wenige Monate zuvor anlässlich des Goldenen Jubiläums der Genfer Konvention von 1864 der «völkerverbindende Gedanke vom Roten Kreuz» beschworen worden? Dieser Leitartikel («Fünfzig Jahre Rotes Kreuz – 1864–1914») hatte vollerStolz ein beeindruckendes Bild der mittlerweile dichten und effizienten Organisationsstruktur der Rotkreuzbewegung in Deutschland sowie ihres breiten Tätigkeitsspektrums präsentiert: von der Kriegsvorbereitung auf dem Gebiet des Sanitätswesens bis hin zu vielfältigen dem Wohlfahrtssektor zuzuordnenden Aktivitäten. Kein Zweifel, «Deutschland [sei] in der Entwicklung des Menschlichkeitsgedankens sichtlich gesegnet gewesen» und ein wichtiger Faktor hierfür seien die «engen, vielfach auf Personalunion in den leitenden Stellen beruhenden Beziehungen zu den Behörden von Reich, Staat und Gemeinde». Völlig unerwähnt indes blieb, dass man als nationales (deutsches) Rotes Kreuz gemeinsam mit vielen anderen Schwestergesellschaften sowie einem «Zentralkomitee» in Genf natürlich auch Teil einer humanitären Weltbewegung war. In einem ähnlich nationalistischen Geiste planten auch das italienische und das französische Zentralkomitee in den Hauptstädten ihrer Länder große Feierlichkeiten anlässlich des 50-jährigen Jubiläums.
Beim Internationalen Komitee in Genf stellte man sich in jenen Tagen denn auch ganz ernsthaft die Frage: Gibt es wirklich einen Grund, diesen Jahrestag mit Glanz und Gloria zu feiern? In einem Rundschreiben vom Herbst 1913 hatte das Komitee bei den nationalen Gesellschaften das Interesse an einer gemeinsamen Jubiläumskonferenz ausgelotet. Das Ergebnis war ernüchternd. Vor allem Deutschland hatte sich ablehnend gezeigt, was das Komitee auch in ungewöhnlich offenen Worten notierte. In Genf wurde denn auch eher bescheiden, ja ein wenig buchhalterisch Bilanz gezogen: Praktisch unkommentiert wurden die inzwischen in der Tat beeindruckend langen Listen der Vertragsstaaten der Genfer Konvention und der nationalen Rotkreuzgesellschaften veröffentlicht und schließlich verwandte man viel Mühe darauf, auf der Schweizer Nationalausstellung mit einem großen farbenfrohen Stammbaum der Rotkreuzbewegung Präsenz zu zeigen. Im Übrigen veröffentlichte das Komitee noch zwei historische Bilder der Diplomatischen Konferenz von 1864. Eines zeigt General Dufour, wie er unter dem Bild Henry Dunants der Konferenz präsidiert. Entsprach ein von übersteigerter nationaler Identifikation und Fanatismus getrageneskriegsbereites, ja bis zu einem bestimmten Grade kriegsbegeistertes humanitäres Engagement wirklich noch dem Geist der Rotkreuzbewegung, so wie es Dunant und den anderen Mitgliedern des Genfer Komitees ein halbes Jahrhundert zuvor als Ideal vor Augen gestanden hatte? Gustave Moynier hatte dieses Selbstverständnis noch kurz vor Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges (1870) in die Worte gekleidet: «Das, was das eigentlich Internationale bei den Rotkreuzgesellschaften ausmacht, ist der Geist, der sie beseelt … Sie sind ein lebender Protest gegen diesen rohen Patriotismus, der im menschlichen Herzen jedes Mitgefühl für den leidenden Feind erstickt […].»
In der Tat war das Bild
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