Das Rote Kreuz - Geschichte einer humanitaeren Weltbewegung
Kavallerie a. D. Curt von Pfuel, der während des Ersten Weltkrieges Vorsitzender des Zentralkomitees der deutschen Vereine vom Roten Kreuz war, bis hin zum gegenwärtigen (2013) Präsidenten Rudolf Seiters, ehemaliger Bundesminister und Bundestagsvizepräsident. Auch in Österreich, wo stellvertretend auf Alois von Schönburg-Hartenstein (1899–1913) und Max Wladimir von Beck (1919–1938) hingewiesen sei, der Schweiz und vielen anderen Staaten waren die Spitzenpositionen der nationalen Rotkreuzgesellschaft von Anfang an fast durchgehend Repräsentanten der politischen und militärischen Elite vorbehalten. Unmittelbar dem König oblag in Italien gar das Recht zur Ernennung des Präsidenten der nationalen Hilfsgesellschaft.
Der Preis des Erfolgs. Diese besondere Nähe zur Macht sicherte den Rotkreuzgesellschaften zwar einerseits erhebliche Entfaltungsmöglichkeiten für ihr immer umfangreicheres Tätigkeitsspektrum. Sie führte andererseits aber fast zwangsläufig auch zu einer problematischen, gelegentlich auch gefährlichen Identifikation mit dem jeweiligen Herrschaftssystem und seiner politischen und militärischen Agenda. Zunehmend auch institutionell fest eingebunden in die nationale Kriegsplanung, die kolonialen Expansionsbestrebungen vorbehaltlos unterstützend und zumindest als Kollektiv dem nationalistisch-militaristischenZeitgeist kritiklos huldigend, wurden die nationalen Rotkreuzgesellschaften in Europa in der Tat alsbald zu einem nicht unbedeutenden Stützpfeiler des politischen und gesellschaftlichen Status quo ihres Heimatstaates. Ob man diese freudige Anbiederung an die Macht wirklich als unvermeidliche Gegenleistung für die Gewährung des «Privilegs» einer umfassenden Erfüllung des Rotkreuzauftrags begreifen und rechtfertigen kann? Auch in gesellschaftspolitischer Hinsicht erwies sich die Rotkreuzbewegung alles andere als eine Speerspitze progressiven Wandels. Das von den «Frauen-Hülfs und Pflegevereinen» kultivierte und propagierte Selbstbild, wonach das «Herz und Gefühl beanspruchende Werk barmherziger Liebe» den Frauen vorbehalten sei und sich im «selbstlosen Dienst lauterer Menschenliebe […] der wahrhaft religiöse Grundzug des Charakters der deutschen Frauen offenbare», zementierte Geschlechterrollen. Fast zeitgleich (1865) war durch Louise Otto-Peters und Auguste Schmidt in Leipzig der Allgemeine Deutsche Frauenverein (ADV) gegründet worden. Mit den auf soziale Emanzipation und politische Gleichberechtigung gerichteten Zielen und Grundsätzen dieser organisatorischen Keimzelle der Frauenbewegung in Deutschland jedenfalls hatten diese Vorstellungen nichts gemein.
Das Genfer Recht: Denn (auch) unter den Waffen sprechen die Gesetze. Das nur zehn kurze Artikel umfassende Regelwerk der Genfer Konvention von 1864 sollte lediglich den Ausgangspunkt bilden für ein immer dichteres Netzwerk vertraglicher Verpflichtungen, um «die Leiden des Krieges zu mildern» – so die Formulierung der Haager Landkriegsordnung von 1907. Einer Initiative Russlands folgend, waren es ganz im Genfer Geist wohl tatsächlich allein Gründe der Menschlichkeit, welche 20 Staaten schon 1868 dazu veranlassten, mit den Sprenggeschossen einen neuartigen und besonders heimtückischen Waffentypus umfassend zu ächten. Diese Petersburger Erklärung war ein Meilenstein der Völkerrechtsgeschichte, denn erstmals überhaupt unterwarfen sich Staaten damit verbindlich einer Beschränkung bei der Wahl der Mittel zur Kriegführung. Die vonDunant geprägte Losung «inter arma caritas» (inmitten der Waffen Nächstenliebe) sollte sodann den Haager Erklärungen von 1899 zu Giftgas- und Dumdumgeschossen ebenso zugrunde liegen wie auch allen späteren Waffenverboten: biologische Waffen (1972), Splitterbomben und Brandwaffen (1980), chemische Waffen (1993), Laserwaffen (1995), Antipersonenminen (1997) sowie jüngst Streubomben (2008). Auch insoweit hat es nicht an Kritik gefehlt. Erhöht man durch das Verbot des Einsatzes besonders grausamer Waffen nicht die Wahrscheinlichkeit eines Krieges mit anderen (konventionellen) Mitteln, den man aus Angst vor den verheerenden Folgen der verbotenen Substanzen vielleicht ganz unterlassen hätte? Das aus den traumatischen Erfahrungen des Ersten Weltkrieges geborene Genfer Giftgasprotokoll von 1925 ist hierfür ein gutes Beispiel. Hätte man auf den einen oder anderen «kleinen Krieg» nicht vielleicht ganz verzichtet, wenn man befürchten musste, tausende Soldaten in Wolken aus Chlorgas,
Weitere Kostenlose Bücher