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Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Kaffke
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unschicklich.»
    «Jeder wird denken, ich habe Ihnen nackt Modell gesessen. Obwohl wahrscheinlich keiner glaubt, dass mein Körper so makellos ist.»
    «Es ist Juttas Körper. Aber ihr Gesicht taugt nicht für die Psyche. Zu kühl. Ihres dagegen hat genau die verhaltene Leidenschaft, die das Bild braucht.» Er zog einen Stuhl heran, setzte sich und sah ihr direkt in die Augen. «Sie sind sehr schön, Fräulein Kaufmeister. Bitte erlauben Sie mir, ihr Gesicht meiner Psyche zu geben. Bitte.»
    Lina wusste nicht, wie ihr geschah. Da saß dieser Mann, den sie gestern noch abscheulich fand, vor ihr und sagte ihr, dass sie schön sei. Du hast eben eine Schwäche für Maler , sagte ihre innere Stimme mit dem gewohnten Sarkasmus. «Und das Bild wird nicht hier in der Gegend ausgestellt werden?», fragte sie leise.
    «Nein, ganz bestimmt nicht. Es ist für Wien, und dort wird es hoffentlich verkauft.»
    «Nun … gut. Sie dürfen mich malen.»
    Wenig später kamen Jutta und Annette in den Salon. Als Jutta Reppenhagen und sein Bild sah, schickte sie Annette weg. «Du kannst dir die Entwürfe heute Nachmittag ansehen, Liebes.»
    Reppenhagen, gerade noch in seine Psyche versunken, legte den Pinsel beiseite. «Genug für heute mit diesem Schund», sagte er knapp. Seine eben noch freundliche Stimme schien Lina plötzlich rau und hart. «Der Diener wird die Staffelei wegbringen. Ich überlasse euch eurem Weiberkram.» Damit verließ es das Zimmer.
    Erst jetzt sah Jutta, welche Züge die Psyche auf dem Bild hatte. «Oh, welche Ehre!», lächelte sie.
    «Es ist ja nur Schund», sagte Lina leise. Sie ärgerte sich darüber, dass sie sich die Worte des launischen Malers so zu Herzen nahm.
    «Ja, manchmal ist er ein richtiges Ekel.»
    «Und es macht dir nichts aus, dass nun mein Kopf auf deinem Körper sitzt?», fragte Lina.
    «Aber nein. Er hat mich schon so oft gemalt, dass das Publikum denken muss, ich sei seine Liebste.» Sie setzte sich zu Lina. «Lass sehen, was du für mich hast.»

    Anders als bei ihrem ersten Aufenthalt gab es noch mehr Gäste neben dem Maler. Ein Paar und eine kleine Familie, die Lina aber nur kurz zu Gesicht bekommen hatte. Auch einige Dienstboten waren mit ihren Herrschaften gereist und oben unter dem Dach einquartiert worden. Jutta hatte ihr gegenüber nichts von einer Feier oder einem geschäftlichen Treffen erwähnt, und Lina war zu diskret, um zu fragen.
    Obwohl sie die vielen Personen abgesehen von Reppenhagen fast nie zu Gesicht bekam, herrschte im Hause Wienhold eine fast fiebrige Anspannung. Lina fragte sich, ob das mit Reppenhagen zusammenhing, der ihr völlig unberechenbar schien. Mal ignorierte er sie fast, als würde er sie gar nicht kennen, ein anderes Mal war er höflich und zuvorkommend, aber distanziert, dann wieder so einschmeichelnd und freundlich wie an jenem Morgen, als er sie gemalt hatte. Er hatte sie sogar überredet, ihr Haar für ihn zu lösen, und er hatte Skizze um Skizze von ihr gemacht, einige sogar koloriert. Dann wieder war er grob und unfreundlich, richtig abweisend zu ihr. Inzwischen war sie über jeden Moment froh, in dem er nicht in ihrer Nähe war.
    Trotz der Unruhe im Haus, die sich jedoch weniger in Lärm und Geschäftigkeit als vielmehr in einer merkwürdigen Stimmung äußerte, schlief Lina viel tiefer und länger als gewöhnlich. Es war ihr schon fast peinlich, dass sie keinen Morgen vor neun Uhr zum Frühstück herunterkam. Aber dies schien der natürliche Rhythmus der Wienholds zu sein, und niemand nahm es ihr übel.
    Anno hatte sie seit dem Nachmittag, als sie ihn nach Hause gebracht hatte, nicht mehr gesehen. Eines Nachmittags, als Jutta mit ihrer Tochter ausgegangen, der Hausherr mit Reppenhagen unterwegs war und das Hausmädchen Jette beim Putzen der Küche helfen musste, beschloss Lina, nach dem Jungen zu sehen. Sie kannte inzwischen das Zimmer im obersten Stock, in dem man ihn einsperrte.
    Es gelang ihr, unbemerkt die Treppe hinaufzusteigen. Sie klopfte leise an die Tür. Nichts rührte sich. Vorsichtig drückte sie die Klinke herunter, in der Erwartung, die Tür verschlossen vorzufinden, aber zu ihrem Erstaunen war sie offen.
    Das Zimmer war leer und erschreckend karg. Es gab ein Bett, aber keinen Stuhl oder Tisch, nicht einmal eine Waschkommode. War der Junge wirklich so gefährlich für sich und andere, wie alle im Haus behaupteten, und durfte deshalb nichts im Zimmer sein, mit dem er hätte um sich werfen können? Lediglich zwei Bücher, dünne Heftchen

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