Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
holte tief Luft. «Ich weiß, es ist nicht anständig von mir, der Lehrer Reichert ist noch nicht einmal unter der Erde, aber …» Sie holte nochmals Luft. «Frau Dahlmann, würden Sie mir die Zimmer vermieten?»
Clara sah sie erstaunt an. «Sie wohnen doch in diesem wunderschönen, großen Haus.»
«In einem einzigen kleinen Zimmer, das ich mein Eigen nennen kann. Mir ist es sehr ernst damit.»
«Nun …»
«Bitte nennen Sie mir den Preis, Frau Dahlmann.»
«Der Lehrer zahlte fünfundneunzig Thaler Jahresmiete. Aber ich dachte jetzt daran, zu erhöhen, die Zeiten sind teurer geworden. Wenn Sie eine Jahresmiete von hundertzehn Thalern zahlen können …»
«Das könnte ich.» Lina hoffte, dass sie nicht rot wurde. Immerhin könnte sie mindestens die Miete für das erste Jahr aufbringen. «Was ist darin inbegriffen?»
«Oh», sagte Clara und zögerte einen Moment. «Der Lehrer hatte Kost und Logis bei mir. Und die Dienste des Hausmädchens, allerdings nahm er die nicht oft in Anspruch. Für zehn Thaler mehr …»
«Hundertzwanzig Thaler volle Kost und Logis und das Hausmädchen?» Das war viel Geld.
Clara nickte. «Die Zimmer sind klein und gehen ineinander über. Wollen Sie sie sehen?»
Lina nickte.
Die Treppe war um einiges steiler als im Kaufmeister’schen Haus. Im kleinen Wohnzimmer gab es ein ordentliches Sofa, einen Tisch und zwei Stühle. Einen richtigen Schreibtisch hatte Reichert nicht gehabt, nicht einmal einen Bücherschrank. Stattdessen stand ein ausgemustertes Ladenregal von Clara in einer Ecke.
«Die Möbel könnten Sie übernehmen», sagte Clara. Sie öffnete die Tür vom Schlafzimmer, aus dem ein unangenehmer Geruch drang. «Wir haben hier noch nicht saubergemacht. Nach der ganzen Aufregung mit seiner Krankheit … es war ja niemand da, der sich um ihn hätte kümmern können, das mussten wir ja tun.»
«Ich hätte noch Möbel aus meinem Zimmer und von meinem Vater», sagte Lina. «Aber das Sofa, den Tisch und die Stühle würde ich gern behalten.»
«Der Ofen funktioniert ausgezeichnet», pries Clara die Vorzüge. «Es ist hell hier mit den beiden Fenstern, und das Schlafzimmer liegt nach hinten hinaus, es ist schön ruhig.»
«Hundertzwanzig Thaler?», fragte Lina noch einmal.
«Ja. Und wenn ich auch sonst gern mit Ihnen handele, Fräulein Kaufmeister, das ist das mindeste, was ich haben muss. Und es kommt ja noch darauf an, ob Sie mit unserem einfachen Essen zufrieden wären …»
«Das werde ich schon sein. Aber hundertzwanzig Thaler … Können wir nicht so verbleiben, dass wir hundertzehn festlegen und dann, wenn ich das Mädchen wirklich über Gebühr in Anspruch nehme, noch nachgebessert wird?»
Clara seufzte. «Nun gut. Aber ich denke, Sie möchten es etwas sauberer haben als der alte Lehrer.»
Lina wollte, ihr Ziel so nah vor Augen, keine weiteren Einwände mehr gelten lassen. «Dann also hundertzehn Thaler?» Sie wartete Claras Zustimmung gar nicht erst ab. «Da ist nur noch eine Sache, Frau Dahlmann.»
«Ja?»
«Mein Bruder Georg als mein Vormund ist dagegen, dass ich sein Haus verlasse.»
«Dann haben Sie also gar kein Geld?» Die geschäftstüchtige Clara erfasste die Situation sehr schnell.
«Ich kann Ihnen die gesamte Jahresmiete morgen auf den Tisch legen. Aber Sie müssen wissen, dass es Ärger geben könnte, mich zu beherbergen. Allerdings …» Lina zog das Papier ihres Vaters aus der Tasche. «Dies ist eine von meinem Vater unterzeichnete Note, in der er mich für mündig erklärt. Mein Bruder hält sie aber für nichtig.»
Clara nahm das Papier und studierte es. «Nun», sagte sie gedehnt und gab es Lina zurück. «Ich werde einen Mietvertrag mit Ihnen abschließen, Fräulein Kaufmeister. Als dumme, unwissende Frau lasse ich mich von so einem offiziell aussehenden Papier natürlich leicht beeindrucken.» Sie zwinkerte Lina zu, und die lachte erleichtert.
«Der Lehrer war kein angenehmer Mieter», sagte Clara. «Er war laut, trank zu viel und war auch sonst keine angenehme Gesellschaft. Sie wären mir als Mieterin mehr als recht. Geben Sie mir Zeit bis morgen. Wegen Ihres Bruders möchte ich doch einen offiziellen Vertrag mit Ihnen abschließen, wenn es Ihnen recht ist.»
«Gern.» Lina überlegte kurz. «Mein Bruder und seine Frau reisen in der nächsten Woche nach Holland, ich würde dann gern hier einziehen – oder ist Ihnen das zu früh?»
«Nein. Bis dahin haben wir auch das Schlafzimmer gesäubert und neu gekälkt. Das ist leider
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