Das rote U
mit seiner Frau heute auch ein wenig früher aufgestanden, denn gleich
nach dem Kaffee wollten sie mit den beiden Kindern nach Angermund hinausfahren
und dort den herrlichen Spätherbsttag verbringen. Jetzt saßen sie
zusammen beim sonntäglichen Kaffeetrinken; Frau Boden schnitt gerade den
Kuchen an und legte jedem der Kinder ein großes Stück auf den
Teller.
„Hoffentlich ist der
Kaffee ordentlich heiß“, sagte sie, „ich hab’ in der
Kirche gefroren wie ein Schneider. Wenn ich erst an den Winter denke... da holt
man sich ja die schönste Lungenentzündung!“
„Wir fangen wohl
nächste Woche schon mit dem Einbau der Heizung an“, sagte der
Bauunternehmer. Er war ja im Kirchenvorstand und musste das wissen. „Wenn
nur die schrecklichen Ausschachtungsarbeiten unter dem Kirchenschiff nicht
wären, dann könnte die ganze Heizung schon in drei Wochen fertig
sein. Aber so...“
Boddas sah verstohlen seine Schwester
an, und das Stück Kuchen blieb ihm im Halse stecken. Also jetzt kamen die
Arbeiter, und mit dem schönen alten Klostergärtchen war es aus! Dann
würde dort der Schutt aufgetürmt, die ausgeschachteten Erdmassen
würden gewiss dorthin abgefahren und weiß Gott noch was!
Ja, die Kinder hassten
ordentlich die neumodische Zeit mit ihren Heizungen, ihren Kanälen,
Kabelanlagen, elektrischen Bahnen und Autobussen! Ein schönes
Spielfleckchen nach dem andern wurde weggefressen von der Großstadt wie
der Frühlingsschnee von der Aprilsonne.
Boddas musste das morgen sofort den
anderen sagen, und dann wollten sie noch einmal den ganzen Tag in das
Gärtchen und hinab in den Keller unter dem Pfarrhaus. In diesen alten
Keller konnten doch auch die Heizungsöfen kommen, meinte er, und dann
Röhrenleitungen in die Kirche. Warum wollten sie gerade unter dem
Kirchenschiff ausschachten und damit das ganze Gärtchen verderben durch
das Hin und Her von Arbeitern, Karren und Pferden?
Eine Schande, dass gerade in
dieser Woche die Sache gemacht werden musste mit dem Gebendeil !
Sie hätten so schöne Zeit gehabt, von dem heimlichen
Spielplätzchen Abschied zu nehmen! Aber da war nichts zu machen. Das Rote
U hatte befohlen, und damit war die Sache erledigt...
„Vater“, sagte da Silli auf einmal, „ich habe dir doch schon gestern
von dem armen Schlosser Gebendeil und seinen vier
oder acht Kindern erzählt; ich glaube, es sind sogar zehn oder
fünfzehn... Wenn ihr doch nun die Heizung macht unter der Kirche, dann
kannst du ihm sicher Arbeit geben...“
„Das ist ja sehr
schön von dir, Kind, dass du daran denkst“, meinte Herr Boden,
„aber da kann ich gar nichts dran machen. Die Arbeit wird einfach in der
Zeitung ausgeschrieben, und die Firma, die sie kriegt, bringt ihre Arbeiter
natürlich mit... Möglich, dass sie den einen oder anderen neu einstellt.
Aber dann muss sich Herr Gebendeil eben an die Firma
wenden, wenn es soweit ist. Ich will euch schon zeitig Bescheid sagen, dann
könnt ihr es ihm ja bestellen lassen durch die Kinder. Vielleicht hat er
Glück.“
Boddas hörte kaum hin. Er
krümelte an seinem Kuchen herum, rührte mit dem Kaffeelöffel in
der Tasse, dann stierte er wieder Löcher in die Luft... Er hatte so seine
Gedanken. Aber er sagte nichts.
Auch unterwegs, als sie von der
Bahnstation durch die fast schon kahlen Wälder gingen, Angermund zu, war
er still und ganz sonderbar in sich gekehrt. Silli merkte es wohl. Aber sie wusste, wenn irgendetwas hinter des Bruders kantiger
Stirn arbeitete, dann war es nicht gut, ihn zu stören. Aber was mochte es
diesmal sein? Was waren es für Linien und Figuren, die er immer, wenn sie
auf einer Bank saßen, in den Sand zeichnete?
In Angermund wollten sie zu
Mittag essen. Und kaum hatten sie sich an den schön und sauber gedeckten
Tisch in der einsamen Wirtschaft gesetzt, da ging die Türe auf, und Silli rief leise:
„Da kommt der Ühl !“
Alle drehten sich um, und
richtig – der Landrichter Bernhard, ein ernster, früh grau
gewordener Mann, trat mit seiner feinen Frau und dem blassen Jungen ein. Man
sah ihm an, dass er sich freute, Herrn Boden hier zu treffen, denn beide Herren
kannten sich schon lange. Herr Boden hatte seinerzeit das neue Haus des
Landrichters gebaut. Auch der Junge bekam ein rotes Gesicht vor Freude, als er Silli und Boddas sah.
„Das ist aber
fein!“ sagte er, „gerade ihr seid hier. Darf ich nach dem Essen
vielleicht mit euch spielen?“
Boddas schaute den kleinen Jungen an,
ungefähr wie ein gewaltig einhertrottender
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