Das rote Zimmer
wartete. »Tut mir Leid. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«
»Sie hatten nicht das Gefühl, dass ihr irgendetwas im Kopf herumging?«
Er starrte auf den Boden, als versuchte er für einen Moment, meine Anwesenheit zu vergessen. »Auf mich wirkte sie genau wie sonst auch.«
»Erzählen Sie mir von dem Abend, bevor sie starb.
Beschreiben Sie mir Ihren gemeinsamen Abend.«
Er seufzte und stimmte dann mit monotoner Stimme an:
»Ich bin gegen sieben von der Arbeit nach Hause gekommen. Emily war schon im Bett, und Philippa las ihr gerade eine Geschichte vor. Anschließend haben wir Emily beide gute Nacht gesagt.«
»Welche Worte hat Philippa dabei benutzt?«
»Welche Worte sie benutzt hat?« Er blinzelte mich an.
»Daran kann ich mich nicht erinnern. Wir sind hinuntergegangen. Ich habe uns beiden ein Glas Wein eingeschenkt, und wir haben zusammen eine Runde durch den Garten gedreht. Es war ein schöner Abend.«
Inzwischen klang seine Stimme nicht mehr ganz so abgehackt. »Dann haben wir draußen zu Abend gegessen.« Er deutete auf den Terrassentisch.
»Was haben Sie gegessen?«
»Moussaka. Grünen Salat.«
»Worüber haben Sie gesprochen?«
Er starrte bekümmert vor sich hin. »Das weiß ich nicht mehr, ich kann mich nur noch daran erinnern, dass sie mich irgendwann gefragt hat, ob ich fände, dass sie älter aussehe.«
»Was haben Sie geantwortet?«
Er schnippte etwas, das ich nicht erkennen konnte, von seinen Shorts. »Bestimmt habe ich gesagt, dass sie für mich immer schön aussehe, irgendwas in der Art, aber an die genauen Worte kann ich mich nicht mehr erinnern.«
»Dann war also nichts anders an ihr? Oder an Ihrer Beziehung zu ihr?«
Er sprach jetzt, als würde er gerade aus einem tiefen Schlaf aufwachen. »Anders? Ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen. Glauben Sie, das Ganze hatte etwas mit mir zu tun? Oder mit ihr? Sie war nicht depressiv. Sie hat nicht getrunken, und sie hat auch keine Drogen genommen. Sie ist nicht in Kersey Town herumgewandert wie dieses Mädchen …«
»Lianne.«
»Ja. Sie ist am Morgen aufgestanden und hat mir mein Frühstück gemacht. Sie hat sich um das Haus gekümmert.
Und um Emily. Sie hat sich mit Freunden getroffen. Sie war glücklich. Sie hat davon gesprochen, wieder arbeiten zu gehen. Sie hat auch davon gesprochen, eines Tages weitere Kinder zu haben. Bald.« Seine Stimme klang jetzt ein wenig brüchig, aber er sprach weiter. »Dann, eines Morgens, nachdem sie Frühstück gemacht und das Haus aufgeräumt hatte, ist sie mit ihrem Kind losgezogen und aus heiterem Himmel ermordet worden. Ende der Geschichte. Zumindest sieht die Polizei es so, und auch dieser andere Doktor, der ein paar Mal hier war und Fragen gestellt hat. Falls Sie Gründe haben, anderer Meinung zu sein, dann verraten Sie sie mir bitte. Ich möchte sie wissen.«
Ich stand auf. »Es tut mir Leid, wenn ich Ihnen Kummer bereitet habe.« Ich beugte mich hinunter und hob das Häufchen Moos, die zwei Steine und die Plastiktube auf.
»Sind Sie damit einverstanden, wenn ich noch kurz bei Emily vorbeischaue und ihr die Sachen bringe?«
»Sie ist wahrscheinlich in ihrem Zimmer. Im ersten Stock, gleich gegenüber der Treppe.«
»Danke.«
Sie war gerade damit beschäftigt, kleine Plastiktiere in einem Regalfach aufzustellen. Ich kauerte mich neben sie, die Hände um ihre Schätze gelegt. »Hier sind deine Sachen.«
»Passen Elefanten eher zu Löwen oder zu Pferden?«
»Wenn es nach mir ginge, würde ich sie zu den Löwen stellen. Möchtest du mir jetzt zeigen, was du für deine Mutter gesammelt hast?«
Sie stand auf und ging zum Bett hinüber, unter dem sie eine große Pappschachtel hervorzog. Nacheinander legte sie die Dinge auf den Boden: ein kleines Marmeladenglas, eine getrocknete Distelblüte, mehrere Sammelkarten aus Cornflakespackungen, drei Knöpfe, ein Stück Nylonfaden, auf dem Plastikperlen aufgereiht waren, eine Murmel, einen kleinen Fetzen eines seidigen orangefarbenen Stoffs, ein glitzerndes Stück Geschenkpapier, einen angeschlagenen Porzellanhund, einen Apfel. Ich beobachtete ihr Gesicht. Sie war völlig auf ihre Aufgabe konzentriert.
»Was davon magst du am liebsten?«
Sie deutete auf die Murmel.
»Was hätte deiner Mutter am besten gefallen?«
Sie zögerte einen Moment, deutete dann auf den orangefarbenen Stoff.
Die Tür ging auf, und Philippas Mutter streckte den Kopf herein. »Entschuldigen Sie«, sagte sie mit ihrer festen, angenehmen Stimme, »aber Emily bekommt gleich
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