Das rote Zimmer
und geleitete mich durch die Diele in die blitzsaubere Küche. Überall standen Blumen – samtige, aber schon welke Iris, halb vertrocknete Margeriten und zahlreiche Vasen mit weißen Lilien, deren intensiver, schwerer Duft das ganze Haus erfüllte. Im Vorbeigehen sah ich auf dem Wohnzimmertisch und dem Kaminsims Stapel von Kondolenzkarten liegen.
Ich warf einen Blick aus dem Küchenfenster. Vater und Tochter waren zusammen im Garten, wo sie mit dem Rücken zum Haus auf einer schmiedeeisernen Bank saßen.
Er löste gerade ein Kreuzworträtsel, und sie schlenkerte mit den Beinen. Irgendetwas ließ ihn den Kopf wenden, woraufhin ich grüßend die Hand hob und in den Garten hinaustrat. Er nickte mir freundlich zu. Ich hatte Bedenken gehabt, ihn erneut zu stören, aber er machte nicht den Eindruck, als wäre ihm mein Besuch lästig.
Nachdem wir uns die Hand gegeben hatten, faltete er umständlich seine Zeitung zusammen, wobei mir auffiel, dass er bei seinem Kreuzworträtsel kein einziges Kästchen ausgefüllt hatte. Er trug ein sommerliches T-Shirt und khakifarbene Shorts, wirkte aber trotzdem recht schick und adrett. Manche Leute sehen immer respektabel aus, dachte ich, andere hingegen nie. Man hätte Doll ein Bad, einen Haarschnitt, eine Rasur, eine Maniküre und einen sündteuren Anzug verpassen können, er hätte immer noch ungepflegt und irgendwie abstoßend ausgesehen. Seine Vergangenheit ließ sich nicht wegwaschen.
»Schau«, sagte Emily.
Ich ging in die Knie. Sie hatte neben sich auf der Bank ihre Schätze ausgebreitet, einen runden grauen Stein und einen scharfkantigen weißen, ein gegabeltes Stöckchen, eine Feder, ein Häufchen Moos, einen kleinen, erdverschmierten rosa Gummiball, ein altes Katzenhalsband, einen hölzernen Stiel von einem Eis, eine Plastiktube.
»Schau«, sagte sie noch einmal und öffnete ihre rundliche Faust. Auf der Handfläche lag ein kleines Schneckenhaus.
»Wo hast du das gefunden?«, fragte ich.
Sie deutete auf den gekiesten Bereich neben der Küchentür.
»Es ist sehr hübsch«, sagte ich. Ihre Finger schlossen sich wieder um das Schneckenhaus. Sie trug ein gepunktetes Sommerkleid, und ihr Haar war mit einer Klammer hinter den Ohren befestigt, was ihr Gesicht schmäler wirken ließ, als ich es in Erinnerung gehabt hatte.
»Das gebe ich alles Mami«, sagte sie in wichtigtuerischem Ton. Ich warf einen Blick zu ihrem Vater hinüber.
»Damit meint sie, dass sie die Sachen aufs Grab legen wird, wenn Phil beerdigt ist«, erklärte er mit gequälter Miene. »Es war die Idee meiner Schwiegermutter, dass Emily schöne Dinge für sie sammeln soll. Ich habe da meine Zweifel. Sie scheint mir die Idee ein wenig zu wörtlich zu nehmen.« Über seiner Nase erschien eine kleine Steilfalte.
»Was hast du denn noch alles gefunden?«, fragte ich die Kleine.
Vorsichtig stand sie auf, das Schneckenhaus noch in der einen Hand, und begann mit der anderen die übrigen Schätze einzusammeln. »Komm mit in mein Zimmer und sieh es dir an«, sagte sie.
»Kann ich auch ein bisschen später kommen? Zuerst muss ich mit deinem Vater sprechen.« Die Steine, das Moos und die Plastiktube landeten im Gras. Sie kniete sich hin, um die Sachen aufzuheben. Ihr Vater machte keine Anstalten, ihr zu helfen. Er hatte die Hände in den Taschen seiner Shorts vergraben und seine Zeitung unter den Arm geklemmt. Sein Gesicht wirkte unendlich müde.
»Weißt du was, Emily? Ich bringe dir die Sachen mit, wenn ich zu dir komme und mir ansehe, was du sonst noch für deine Mutter gesammelt hast.«
»Versprochen?«
»Ja.«
»Nicht vergessen!« Sie deutete auf die Plastiktube zu meinen Füßen.
»Bestimmt nicht.«
Wir sahen ihr nach.
»Sie glaubt, Philippa kommt zurück.«
»Wirklich?« Ich starrte auf ihren geraden Rücken und ihre dünnen Beine. Sie verschwand durch die Küchentür.
»Möchten Sie sich nicht setzen?« Er deutete auf die Bank.
»Danke.«
»Kaffee?«
»Nein, danke, nichts.«
»Ich habe von Ihrem Erfolg gehört«, sagte er.
»Oh, na ja …«
»Ich glaube, ich habe Sie unterschätzt.«
»Wie geht es Ihnen?«, fragte ich ihn.
»Geht schon.«
»Können Sie schlafen?«
»Ja. Obwohl, nein, eigentlich nicht. Sie kennen das sicher. Ich wache auf und …« Er verstummte.
»Essen Sie genug?«
Er nickte.
»Ich habe vor ein paar Tagen mit Tess Jarrett gesprochen. Sie hat gesagt, Philippa sei ihr in den Wochen vor ihrem Tod zerstreut vorgekommen. Hatten Sie auch den Eindruck?«
»Nein.« Ich
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