Das Runenschwert (Die Saga von den drei Königreichen) (German Edition)
langsam einige von ihnen als Freunde zählen können: Ketill, Starkir, Sörun und andere. Und auch andere Menschen, die er kannte, teilten ihre Welt in gut und schlecht auf. Cathyll hatte gute Freunde in Mal Kallin gehabt, soweit er sich erinnern konnte. Aber sie hatte auch Feinde, zum Beispiel ihren Berater, der sie hatte töten wollen. Seitdem er hier war, hatte An’luin aber nie gehört, dass einer der hier Lebenden ein schlechtes Wort über irgendjemanden verloren hätte. Und die Art und Weise, wie die Laauri ihn aufgenommen hatten, war so voller Offenheit und Freundlichkeit, dass er fast das Gefühl hatte, er könnte auch hier bleiben.
29. Abschied
ls An’luin ein paar Tage später auf eine der höher gelegenen Terrassen ging, sah er am Himmel ein unglaubliches Lichterspiel. Blaugelbe Lichterwellen bewegten sich langsam am Himmel und erzeugten dabei eine solch zauberhafte Stimmung, dass An’luin trotz der eisigen Kälte mit offenem Munde am Geländer stand und zum Himmel hinauf starrte.
„Das ist wunderbar, oder?“ Tallhan stand neben ihm. Ohne ihn anzusehen nickte An’luin. Er fühlte sich wohl an diesem Ort, obwohl er niemanden kannte und die Landschaft höchst unwirtlich war. Es gab nur diese Berge, an denen die Mauern von Solbaek klebten und sonst nichts. Doch war es innerhalb der Mauern auf wohltuende Art und Weise warm und ordentlich. Diese Ordnung, so stellte An’luin fest, war es, die ihm gut tat und entspannte. Und es war das eigentümliche Licht, das die Hallen durchflutete. Dieser Ort war magisch und hatte dadurch etwas Unmenschliches, etwas zu Gutes. Deshalb traute er sich auch die Frage zu stellen, die ihm seit seines Erwachens auf der Seele brannte: „Wer seid ihr?“
Tallhan lächelte zu ihm herab. „Wir sind die Laauri, manche nennen uns auch die Liir. Wir sind ein uraltes Volk, ein Volk, das, wie Du siehst, seine eigenen Wege geht und seine eigenen Gesetze hat. Wir mögen es gerne einsam und deswegen leben wir hier, wo sonst ni emand lebt.“
An’luin war noch nicht zufrieden. Da war noch mehr. Die Me nschen, die hier lebten wirkten anders, als ob sie nicht „menschlich“ waren.
Als hätte Tallhan seine Gedanken erraten, sagte er: „Wir sind auch Menschen, An’luin, aber tatsächlich sind wir anders. Wir Laauri folgen nicht denselben Gesetzmäßigkeiten wie ihr anderen. Der Körper der Menschen wächst, egal wie reif er ist. Von Anfang an folgt er dem Gesetz des fortschreitenden Wachstums und der Alt erung. Wir Laauri entwickeln uns nur körperlich weiter, wenn sich unser Geist vorher weiterentwickelt hat. Bei uns ist Reife unweigerlich am Aussehen zu erkennen.“ An’luin war stehen geblieben. Was Tallhan sagte, erklärte all die Andersartigkeit der Menschen, denen er hier begegnet war. Die Männer und Frauen, die er gesehen hatte, wirkten im wahrsten Sinne des Wortes erwachsen, er hatte sie nie mit kindischem Verhalten beobachten können, wie Eifersüchteleien, Wut oder dramatischen Gefühlsausbrüchen, was nicht hieß, dass sie kalt wirkten. Ganz im Gegenteil. Die Laauri wirkten warmherzig und fürsorglich.
„Was genau meinst d u mit Reife?“
„Nun, wenn du dir Kinder ansiehst, An’luin, dann wirst du feststellen, dass sie auf der einen Seite eine herzerfrischende Offenheit haben und die Welt mit Begeisterung und Neugierde erfassen. Auf der anderen Seite aber haben sie die Erwartung, dass sie all ihre Bedürfnisse zu jeder Zeit gestillt bekommen. Erwachsen zu werden, bedeutet sich damit abzufinden, dass man nicht alles bekommt was man will. Das ist ein schmerzhafter Prozess. Und es gibt zwei Möglichkeiten mit diesem Schmerz umzugehen – erstens, man versucht ihn zu verdrängen, vermeiden, zweitens, man spürt ihn und lässt ihn zu. Im Leben gibt es immer etwas, das einem Schmerzen bereitet. Verdrängung heißt nicht zu wachsen, den Schmerz zulassen, bedeutet zu wachsen.
Denke zum Beispiel an das, was im Dreischafetal passiert ist. Wie kannst du das mit dem, was ich gerade gesagt habe, in Einklang bringen?“ An’luin fragte sich erneut woher die Laauri wohl so gut über das Dreischafetal Bescheid wussten, doch er hielt seine Frage zurück. Er überlegte, wer von den Bewohnern eine schmerzhafte Erfahrung gemacht hatte – das waren wohl ziemlich eindeutig Hjete und die Kinder gewesen. Doch wie war es zu dem Unglück gekommen? Er hatte bisher den Fluch des Runenschwertes dafür verantwortlich gemacht. Aber warum hatte Steinn diese Intrige angefangen, die mit
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