Das sag ich dir
mir!«, rief er. »Wenn etwas Kunst ist, dann das! Hi, Leute! Willkommen! Freut euch des Lebens!«
Wenige Augenblicke später lag Karen in seinen Armen, und kurz darauf entkorkte Alan im Wohnzimmer eine Flasche. Dann bat er einen der Bediensteten - den ich schon aus der Londoner Wohnung kannte -, mir mein Zimmer in der umgebauten Scheune zu zeigen, wo die Gäste logierten. Die Bezeichnung »Scheune« verriet natürlich nichts über den Luxus, den Mustaq sich leisten konnte und seinen Gästen gern vorführte.
Karen und ich waren zeitig eingetroffen, denn wir hatten beide aus London wegkommen wollen. Wie erhofft, hatte ich dadurch Zeit, die Felder rund um Mustaqs Anwesen zu erkunden. Beim Hereinkommen hatte er zu mir gesagt: »Ist alles mein Besitz, so weit das Auge reicht. Der Rest gehört Madonna. Ich habe meine Felder an einen örtlichen Bio-Bauern verpachtet, aber wenn du möchtest, kannst du natürlich quer über jeden Acker laufen.«
Nachdem ich zwei Stunden durch die Felder gewandert war, kehrte ich zum Haus zurück und schaute mir den üppigen Garten an. Dies war Alans Bereich, hier erledigte er alle Arbeiten selbst - Blumen, Kräuter, Gräser, Teiche - und stellte dann seine Eisenskulpturen auf, die überall aufragten wie riesige Heftklammern. Er war Künstler geworden, und in London hatte er bald eine Ausstellung in einer der führenden Galerien; jeder würde zur Vernissage kommen, sogar Ron Wood von den Rolling Stones.
Mustaq hatte mir vorgeschlagen, nach der Wanderung ein bisschen zu schwimmen. Der Pool, der sich neben dem Haupthaus in einem gläsernen Gebäude befand, war mir schon aufgefallen. Doch als ich hinging, erblickte ich etwas durch die Glastüren, das mich veranlasste, mitten im Schritt stehen zu bleiben.
Ich hatte einen Kopf mit schwarzer Badekappe gesehen. Ich beobachtete, wie die Frau aus dem Pool stieg und in Bademantel und Flip-Flops schlüpfte. Für den Bruchteil einer Sekunde sah sie in meine Pachtung. Ob sie nun kurzsichtig war oder mich nicht erkannte - schließlich war ich älter geworden und hatte mich verändert -, auf jeden Fall starrte sie mich an, und ich starrte sie an, und keiner von uns beiden zeigte eine Regung.
Da ich nicht den Eindruck erwecken wollte, die Flucht vor ihr zu ergreifen - falls sie mich überhaupt erkannt hatte, was ich bezweifelte -, blieb ich stehen und betrachtete ihre verschwommene Silhouette durch das dicke, von Wassertropfen bedeckte Glas. Schließlich stieg sie die Treppe zu den Duschen und Umkleideräumen im Keller des Hauses hinab - da ging er hin, der Körper, den ich mehr geliebt hatte als jeden anderen.
Mir war klar, dass Mustaq und mir leidenschaftliche und intensive Diskussionen bevorstanden. Auch ich hatte das Bedürfnis, mit ihm zu reden. Aber dass Ajita an diesem Wochenende da wäre, hätte ich im Traum nicht gedacht. Der Moment, auf den ich so lange gewartet hatte, war gekommen. Bald würden wir einander alles erzählen, was wir voller
Sehnsucht in uns verschlossen hatten. Doch womit würden wir beginnen, und wohin würde uns das Gespräch führen?
Nun war nichts mehr so leicht wie in all den vergangenen Jahren, als ich sie nur hatte vermissen müssen.
Ich ging in mein Zimmer und setzte mich ans Fenster. Draußen auf dem Hof bürstete ein Bediensteter die Reifen des Mustangs seines Brötchengebers ab. Die Felder wurden in der Ferne von einer Autobahn begrenzt, dahinter war eine Stadt erkennbar. Die Kleider, die ich auf der Fahrt getragen und nach der Ankunft wie daheim einfach auf den Fußboden geworfen hatte, lagen gefaltet auf einem Stuhl. Der Inhalt meiner Reisetasche war in die Schränke gehängt worden, und meine alten Turnschuhe, nicht mehr im allerbesten Zustand, hatte man geputzt.
Um nicht weiter im Zimmer herumzutigern und zur Ruhe zu kommen, legte ich mich eine Weile hin, wurde aber von einer lauten, körperlosen Stimme aus dem Schlaf gerissen. Das war keine Paranoia, denn Mustaq hatte Lautsprecher in den Zimmern installieren lassen, und ich wurde zum Dinner gerufen.
Ich duschte und zog mich um, wobei mir einfiel, dass Ajitas Blick gleich auf mir ruhen würde. Als ich im Spiegel all die Falten und kleinen Makel sah, die mir längst gleichgültig geworden waren, fand ich mich absolut uninteressant und fragte mich, was Ajita in mir sehen würde. Dann ging ich mit Karen, die nebenan ein Nickerchen gemacht hatte, von der Scheune zum Haupthaus und stellte fest, dass der Hof inzwischen dem Ausstellungsraum eines Autohauses
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