Das sag ich dir
Indien den reichen Wirtschaftsboss geheiratet, mit dem sie seit längerem eine Affäre gehabt hatte. Sie war oft in London, denn das Paar besaß eine Wohnung in Knightsbridge. Sie war eine der ausländischen Frauen, die durch Harrod's und Harvey Nicols schlenderten und Konsumgüter kauften, die in der Dritten Welt nicht erhältlich waren. Ob sie je in das Haus in Kent zurückgekehrt sei? Nein, sie habe es von Anfang an nicht gemocht. Und nostalgisch sei sie auch nicht.
Außerdem gab es ein Foto, das ich nie im Leben erwartet hätte. Es zeigte mich in den Siebzigern im Schlafzimmer von Mushy Peas, wahrscheinlich kurz vor unserem Ringkampf. Ich grinste darauf, als wäre mir die Sache ungeheuer peinlich. Mustaq musste das Foto extra für mich hingestellt haben.
»Ja, das bist du«, sagte er. »Knackiges Frischfleisch, wie?«
»Ich wünschte, ich hätte mehr mit diesem Pfund gewuchert.«
Er nahm ein anderes Foto zur Hand. »Vater - den du nicht mehr treffen wirst.«
Als erstes fiel mir Ajita auf dem Foto auf. Sie war etwas jünger als bei unserer ersten Begegnung und stand Arm in Arm mit dem Vater da, den ich ermordet hatte, dessen Herz durch eine Überdosis Adrenalin versagt hatte.
Ich spürte, dass Mustaq mich im Auge behielt, während ich mich an die Nacht in der Garage erinnerte und mir das Gesicht des Vaters vor Augen zu rufen versuchte, um es mit dem zu vergleichen, das ich auf dem Foto sah. Ich besaß weder Bilder von Ajita noch von Wolf oder Valentin. Ich hatte nur ein aus der Zeitung ausgeschnittenes Foto des
Vaters besessen, das ich seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen hatte und das beim Umzug meiner Mutter vermutlich im Müll gelandet war. »Vermisst du ihn?«, fragte ich.
Mustaq stellte das Foto wieder hin. »Er hätte mich und mein Leben gehasst. Kaum vorstellbar, dass er sich mit Alan zum Essen an einen Tisch gesetzt hätte. Aber vielleicht hätte er meinen Reichtum und Erfolg gewürdigt.«
»So etwas überzeugt fast jeden.«
»Freust du dich, meine Schwester wiederzusehen?«
»Vielen Dank, Mustaq, ja - ich freue mich sehr, obwohl wir bislang kaum miteinander gesprochen haben.«
»Aber ihr habt euch schöne Augen gemacht.«
»Stimmt. Ist sie mit Mann und Kindern hier?«
»Ich habe sie alle in New York zum Dinner ausgeführt. Als ich ihr erzählt habe, dass ich dir in London begegnet bin und dass du für das Wochenende aufs Land kommen würdest, ist sie richtig aufgelebt. Sie hat mich ständig angerufen und sehr schnell gehandelt. Obwohl sie es eigentlich hasst, das Haus zu verlassen, hat sie niemanden mitgenommen. Ich habe den Verdacht, dass sie zu einem Techtelmechtel bereit sein könnte. Jamal, du Glückspilz, offenbar hat sie nur auf dich gewartet.«
»Dann sollte ich sie wohl besser nicht enttäuschen.«
Mustaq hob mein Handgelenk und betrachtete es, wobei er ironisch meinen Arm streichelte. »Du hast die Armbanduhr abgenommen. Was ich jetzt brauche, sind Informationen. Ich weiß, dass es lange her ist, aber woher in Gottes Namen hast du dieses Ding?«
Ich griff in die Tasche und zog die Uhr heraus. Ich konnte sie jetzt nicht mehr anschauen, ohne mir zu wünschen, sie bis kurz vor den Moment zurückstellen zu können, als sie mir gegeben worden war. Was als gute Tat gedacht gewesen war, hatte mein Leben zu einer Hölle gemacht, deren Hitze ich oft nicht mehr aushielt. Mustaqs Vater war ein Geist, der seine Hände nicht von meiner Kehle ließ und, wie ich befürchtete, auch nicht davon ablassen würde. Am liebsten hätte ich aufgeschrien: »Können die Toten uns denn nie in Frieden lassen?« Doch ich schwieg und gab Mustaq mit einem Seufzer die Uhr. »Du kannst sie haben.«
Er zog ein überraschtes Gesicht. »Sie gehört nicht wirklich mir.« »Mir wohl auch nicht. Bitte.«
Er nahm seine Uhr ab und legte die seines Vaters an. Indem er darauftippte, sagte er: »Danke. Aber eines muss ich dich fragen: Warum hast du bestritten, dass sie meinem Vater gehört hat?«
»Ich konnte nicht erzählen, wie ich sie bekommen habe.«
»Warum nicht?«
»Das ist ein schmerzhaftes Thema, Mustaq, und ich müsste dazu weit in der Zeit zurückgehen.«
»Schmerzhaft für dich oder für mich?«
»Ich werde dir alles erzählen. Aber es könnte das Bild über den Haufen werfen, das du von deinem Vater hast.«
»Du weißt doch gar nicht, welches Bild ich von ihm habe. Das weiß ich ja selbst nicht. Obwohl ich inzwischen fast erwachsen bin.« »Gut«, sagte ich.
»Jetzt gleich?«
»Wenn es dir nichts
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