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Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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ausmacht. Denk nur, wie viele Jahre ich gewartet habe.«
    Die anderen kamen nach oben und nahmen sich hastig Gläser mit Champagner von Silbertabletts. Mustaq folgte mir durch das Zimmer zu einer ruhigeren Ecke, wo wir uns hinsetzten. Ich brauchte nicht lange, bis ich eine Geschichte parat hatte. Ich sagte: »Es ist relativ kurz vor seinem Tod passiert. Ich war mit deiner Schwester bei euch zu Hause, als dein Vater kam. Da ich nicht verraten durfte, dass ich Ajitas Freund war, habe ich behauptet, auf dich zu warten. Er hat gelacht und mir gesagt, ich würde nur meine Zeit vergeuden.«
    »Das hat er oft gesagt.«
    »Er wollte, dass ich ihm bei einer Kiste mit Papieren half, die er nicht allein tragen konnte. Oben in deinem Schlafzimmer, in dem kleinen Ankleideraum gleich nebenan, in dem all die Koffer standen, hat er seine Uhr abgenommen. Er sagte mir, sie sei wertvoll, und er wolle sie mir schenken. Ich wollte sie nicht haben, aber er bestand darauf, sie mir in die Tasche zu stecken. Da fiel mir auf, dass sein Hosenstall offen stand. Er hat sich befummelt. Dann hat er meine Hand gepackt und mich gezwungen, ihn zu streicheln. Anschließend haben wir die Kiste nach unten getragen. Das ist alles«, sagte ich. »Tut mir leid, dir das erzählen zu müssen.« Während Mustaq nachdachte, fragte ich: »Hat er dich je angefasst?«
    »Nein! Mich? Nie. Wieso fragst du das? So war er nicht. Er hat Homos gehasst!« Er stand unvermittelt auf und schaute aus dem Fenster. »Scheiße nochmal - warum erzählst du mir das? Jetzt muss ich alles neu überdenken!« Er starrte mich an, und auf einmal klang er absurd verbindlich. »Und ich muss mich bei dir entschuldigen. Ich bitte dich im Namen meiner Familie um Verzeihung für das, was mein Vater dir angetan hat.«
    »Wirst du Ajita davon erzählen?«
    »Sie ist leicht zu erschüttern. Sie hat oft Depressionen und ist jeden Monat zwei Wochen lang fast katatonisch, ich mache mir wirklich Sorgen um sie.« Dann sagte er: »Weißt du, ob er das auch m it jemand anderem gemacht hat?«
    Ich schwieg. »Jamal, aufgrund deiner Berufserfahrung weißt du doch bestimmt, ob Leute, die so etwas machen, dies auch anderen antun, oder?«
    »Meine Antwort wird dir nichts nützen, denn so etwas hängt stark von der jeweiligen Lebensgeschichte ab. Manche Leute tun solche Dinge nur während einer bestimmten Phase, nach einer Trennung oder wenn sie depressiv sind, und danach nie wieder. Ich glaube, hier geht es eher um eine Form von Inzest als um Pädophilie. Dazwischen muss man unterscheiden.«
    Er hörte mir nicht zu. »Dieser verdammte Dreckskerl mit seinen beschissenen Geheimnissen. Hasst du ihn?«
    »Ich? Nein. Es hat mich natürlich verstört. Ja, erschüttert. Gut möglich, dass es meinen beruflichen Werdegang beeinflusst hat - in Pachtung Analyse. Es hat mir zwar die eine Woche verdorben, aber nicht mein ganzes Leben.«
    »Ich ersticke«, sagte er. Mir fiel auf, dass er sich die Hände um die Kehle gelegt hatte, als wollte er sich erdrosseln. »Ich muss raus. Ich werde draußen ein bisschen herumlaufen.«
    Ich sah ihm nach, als er aus dem Zimmer eilte. Alan wollte auf ihn zugehen, doch Mustaq stieß ihn beiseite. Alan warf mir einen Blick zu und zuckte mit den Schultern. Ich nahm mir noch ein Glas Champagner und fragte mich, wo sich Ajita aufhalten mochte.
    Draußen war sie nicht. Durch das Fenster konnte ich Mustaq sehen, der über das beleuchtete Anwesen stürmte und dabei wild die Arme schwenkte. Nach einer Weile schien er einen Entschluss gefasst zu haben, denn er verschwand in einem anderen Teil des Hauses.
    »Schau mal«, sagte er, als er zurückgekehrt war. Er tippte auf seinen Arm.
    »Was denn?«
    »Ich reagiere schon allergisch auf die Uhr. Mein Handgelenk ist gerötet und leicht geschwollen. Und es ... pocht!« Ich sah genau hin, konnte aber nichts erkennen. Er nahm die Uhr ab und steckte sie in die Tasche. Dann sagte er: »Ich habe Ajita gerade alles erzählt. Ich konnte mich nicht beherrschen. Ich habe ihr berichtet, was du über unseren Vater gesagt hast. Ich wollte, dass sie es weiß. Ich wollte wissen, was sie darüber denkt. Und du hast Glück.«
    »Wie meinst du das?«
    »Sie glaubt dir und meint, du seiest ein vertrauenswürdiger Mensch, der keinen Grund habe, sich eine Lügengeschichte über unseren Vater auszudenken.«
    Er fuhr fort: »Komisch war nur Folgendes: Ich dachte, dass sie diese Enthüllung über den Charakter unseres Vaters bis ins Mark erschüttern würde. Wäre doch

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