Das sag ich dir
fasziniert mich immer noch.«
»Ich mache mir Sorgen um dich, Jamal!«
»Du bist ein prima Freund, aber lass dir davon nicht den Tag verderben. Ich müsste mich wohl um sie kümmern. Genau das wollte sie immer, aber gleichzeitig hat sie dafür gesorgt, dass ich ständig dabei versagt habe.«
»Wirst du sie darauf ansprechen?«
»Nein, ich denke nicht. Ich wusste bislang nur, dass sie >Speed Dating< macht.«
Er lachte. »Dem Himmel sei Dank, dass du als Therapeut nie mit Paaren gearbeitet hast.«
»Das ist ziemlich lukrativ, wie ich höre. Große Nachfrage.«
»Ja, ich weiß auch nicht, was ich da sage«, erwiderte Henry. »Ein flüchtiger Blick auf die frühen Analytiker und ihre Jünger und Kollegen zeigt ja schon, dass sie mit Ausnahme von Freud ein Haufen von Perversen, Selbstmördern und Verrückten waren. Also absolut menschlich. Aber eins wussten sie ganz genau.
»Und was?«
»Entweder liebst du, oder du wirst krank.«
Abends hatten die meisten zu viel Koks intus, um viel essen zu können, doch Miriam und Henry waren hungrig, und ich setzte mich gemeinsam mit ihnen und Ajita an den Tisch. Henry nahm kaum wahr, dass das Essen von Bediensteten in Uniform serviert wurde, doch Miriam bestand darauf, beim Abwasch zu helfen.
An diesem Samstagabend hatte man in einer der Scheunen eine niedrige Bühne errichtet. Die Bediensteten stellten Lichter auf und trugen zahlreiche Instrumente herein. Kisten mit Wein und Bier wurden vor der Bühne abgestellt, dazu Wodka- und Tequilaflaschen. Die Leute saßen auf Stühlen, und für solche wie mich, die sich nicht mehr auf den Beinen halten konnten, lagen auch Kissen auf dem Boden.
Obwohl ich kurz vor der Besinnungslosigkeit stand, wollte ich auf keinen Fall Charlie Heros akustische Version von Kill for Dada verpassen, ein Stück, das er in den Siebzigern mit The Condemned aufgenommen hatte.
Alan stieß Mustaq auf die Bühne. Es gab viel Aufregung und Applaus. Mustaq wollte eigentlich nicht spielen, doch Alan konnte er nichts abschlagen. Also übernahm Mustaq Charlies Part und setzte sich ans Klavier; er wartete kurz und begann schließlich, probehalber herumzuklimpern. Als die Melodie Gestalt annahm, erwies sie sich als handfeste Coverversion von Neil Youngs Helpless, mindestens so gut wie die Version des Stückes von K. D. Lang, die mir am besten gefiel. Ich verstand langsam, warum der ehemalige Mushy Peas ein berühmter Popstar war.
Ajita, nun im kurzen Jeansrock, ging mit einem Tamburin zu ihm, um den Refrain zu begleiten. Sie taumelte vor Lachen, und als sie mich auf die Bühne zog, konnte sogar ich nicht widerstehen. Meine Art zu tanzen war irgendwann in den Siebzigern stehengeblieben, und der einzige Unterschied zwischen früher und heute bestand darin, dass jetzt ein Geist zwischen uns stand, ihr Vater.
Später, nachdem Ajita und ich geknutscht hatten - »Das Wort >knutschen< hat seit einer Ewigkeit nicht mehr zu meinem aktiven Wortschatz gehört!« -, improvisierten Karim und Charlie gemeinsam Let's Dance, Karim spielte ziemlich gut Bass, und Karen bewarf ihn erst mit ihrem Gürtel und dann mit ihren Schuhen von Manolo. Später sah
ich, wie sie gemeinsam mit einem Bediensteten versuchte, einen Manolo aus dem Kabelsalat hinter der Bühne zu bergen. Ajita hatte mit Henry und Miriam getanzt, und wir hatten gemeinsam auf dem Rasen verschnauft, eine Flasche Champagner geleert und geraucht. Dann kehrten wir in die Scheune zurück, wo Mustaq Jedem zerreißt es einmal das Herz spielte. Er widmete es mir, denn mir hatte er diesen Song angeblich einzig und allein zu verdanken.
Wann, weiß ich nicht mehr, aber die Party wurde zu einer Rock-'n'-Roll-Session, bei der jeder herumjammte, der nur halbwegs ein Instrument beherrschte, und bei der Mustaq auf das Klavier eindrosch wie weiland Jerry Lee Lewis. Henry konnte es kaum erwarten, nackt herumzulaufen, und er schwenkte die Arme, als wollte er Mörderbienen verscheuchen oder als hätte er die Sechziger verschlafen und müsste die Dekade um jeden Preis nachholen. Miriam tanzte in BH und Slip vor einem der Lautsprecher, damit auch ja alle ihre Tätowierungen sahen. Sie hatte sie Ajita gezeigt und ihr Ursprung und Bedeutung jeder einzelnen erklärt. Ajita, zugleich erschrocken und fasziniert, war schließlich fast davon überzeugt gewesen, dass ein »Tattoo« ein Gewinn für ihr Leben sein könnte.
Ich kann mich erinnern, wie Mustaq seiner Schwester aus der Scheune und nach oben ins Haus half, und eine so getrieben und
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