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Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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er in die Hölle.«
    »Aber weigert er sich nicht zu widerrufen? Immerhin vertritt er eine ethische Position.«
    Henry war immer noch tief mit seiner Arbeit verbunden. Das war mir bewusst geworden, als er abends auf seine Armbanduhr getippt und gesagt hatte: »Viertel nach sieben. Um diese Zeit denke ich täglich daran, dass sich gerade überall in der Stadt, ja im ganzen Land, Schauspieler auf ihren Auftritt vorbereiten, sich pudern, in Umkleideräumen sitzen, Stimm- und Aufwärmübungen machen, Lampenfieber haben oder sich auf die Bühne freuen. Darsteller. Ich habe mein ganzes Leben mit ihnen verbracht - mit Menschen, die vor einem Publikum, das extra für sie gekommen ist, sehr schwierige Dinge vollbringen.«
    Ein paar Wochenenden zuvor war Miriam mit Henry und einem ihrer Kinder in einem geliehenen Wohnmobil zu einem Pop-Festival gefahren. Bushy hatte am Steuer gesessen. Henry, der nicht allein sein wollte, hatte unbedingt mitkommen wollen. Doch er war rastlos geworden und hatte nicht nur das Wohnmobil, sondern nach wenigen Stunden auch die Musik gehasst. Sie sei »nur weiß« und nicht so »authentisch« wie der Hip-Hop, über den er gern mit Rafi diskutierte. Miriam und die anderen hatten ihn nach einer Weile Opa genannt. Daher war ich erstaunt, als sie bald darauf einen weiteren Kurztrip unternahmen, diesmal nach Paris, wo Henry zu einer Kulturkonferenz eingeladen worden war. Natürlich verachtete er die »amtliche« Kultur, sah in der Reise aber eine Gelegenheit, alte Freunde zu treffen - Regisseure, Museumsdirektoren, Schauspieler, Autoren.
    Während er und Miriam feist mit Marianne Faithful speisten, besuchte Bushy in der Gegend um den Gare du Nord ein paar Afrikaner, an die er durch seine Kontakte im Cross Keys herangekommen war. Außerdem besorgte er Rafi etliche heiße Hip-Hop-Scheiben in diversen afrikanischen Sprachen. Auf der Rückfahrt stopfte er das Auto mit Alk und Zigaretten voll, Zeug, das er den Nachbarn und den Gästen im Cross Keys verkaufen wollte. Falls etwas übrigblieb, würde Wolf es »oben im Westen« entsorgen.
    Henry hatte mir erzählt, dass man ihm an der Comédie-Française etwas angeboten hatte, doch er hatte abgelehnt, obwohl er geschmeichelt und stark versucht gewesen war. Ich fragte mich, wann er sich wieder in seine Arbeit stürzen und wie Miriam darauf reagieren würde, wenn sie einander nur noch selten sahen.
    Er sagte: »Du fragst mich, warum ich nicht wieder arbeite? Ja, was habe ich denn schon geleistet? Ich habe zwar die Werke anderer auf die Bühne gebracht, aber ein Urheber bin ich nicht. Was bin ich denn wert? Ich achte die Schauspieler. Was sie tun, ist gefährlich. Aber habe ich selbst irgendetwas Einzigartiges oder Wertvolles geschaffen? Einmal hat mich jemand eine >Hebamme der Bühnenkunst< genannt. Da hätte ich mich fast umgebracht.«
    »Machst du dich jetzt nicht selbst fertig?«
    »Tschechows Charaktere reden die ganze Zeit über Arbeit. Wir müssen arbeiten, wiederholen sie wie ein Mantra. Mir will einfach nicht in den Kopf, warum wir die Arbeit für eine solche Tugend halten.«
    »Mit der Arbeit büßen wir unsere Schuld ab.«
    Er schaute mich an. »Komm, wir sollten gehen.«
    Bushy hatte angerufen. Er wartete mit Miriam ganz in der Nähe im Auto.
    Während ich zugesehen hatte, wie sich Henry auf den Abend vorbereitete, voller Neid auf seine Hingabe an das Abseitige - »um zu erfahren, was Sex ist«, hatte er gesagt, »muss man in Kauf nehmen, davon zerstört zu werden« -, hatte ich beschlossen, nicht ganz so verklemmt zu sein. Am Ende trug ich nicht nur die Kluft, die die Göttin für mich ausgesucht hatte, sondern auch Lippenstift, Puder, eine blonde Perücke, die einer von Sams Frauen gehörte - der Pantoffel-Frau, wie ich insgeheim hoffte -, einen schwarzen Hut und eine dunkle Sonnenbrille.
    »'N Abend, Doktor, falls du es wirklich sein solltest«, sagte Bushy, als ich die Autotür öffnete. »Super Outfit. Super Outfit. Du hast die richtige Wahl und echt ausgezeichnete Entscheidungen getroffen.«
    »Vielen Dank, Bushy, alter Freund«, erwiderte ich. »Ich kann mich immer auf dich verlassen, wenn es um ein anständiges Urteil geht. Und was sagst du?«, fragte ich Miriam, die ein Kostüm aus schwarzen Spinnennetzen in unterschiedlichen Materialien trug, eigentlich ihre Alltagskleidung, wenn man einmal von dem Minirock absah. »Miriam?« »Mir hat es die Sprache verschlagen.«
    »Weg mit der Kamera!«, sagte ich und versuchte, ihr das Handy zu entwinden,

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