Das sag ich dir
jetzt einen Plan. Ich wollte Analytiker werden, ein Heiler der Seele. Das teilte ich ihnen so ernsthaft wie möglich mit, musste jedoch einige dumme Bemerkungen abschmettern. »Er braucht einen Seelenklempner«, murmelte Miriam. Mutter: »Eigentlich bist du es, die einen braucht.« Miriam: »Schau mal in dich hinein, Mutter - dann würdest du nämlich merken, dass du einen brauchst.« Mutter: »Schau du lieber in dich hinein, Schatz.« Miriam: »Immerhin hast du uns zu dem gemacht, was wir sind ...« Und so ging es weiter.
Sobald dieser Streit abflaute, fuhr ich fort. Das Devil's Dictionary beschreibt den Arzt zwar als jemanden, »auf den wir unsere Hoffnungen setzen, wenn wir krank sind, und auf den wir unsere Hunde hetzen, wenn wir gesund sind«, aber wie Josephine immer sagte, war die Bezeichnung »Arzt« bei den meisten Leuten automatisch hoch angesehen. Als ich sprach - die Ausbildung erklärte, die Theorie, die Praxis, das Einkommen, das Interesse -, besaßen meine Worte zu meiner Überraschung eine gewisse Autorität. Offenbar waren Mutter und Miriam erstaunt über meine Entschlossenheit und meinen Eifer. Ich wusste, dass sie mich - wie ich mich selbst - für passiv und verklemmt hielten, für jemanden, dem Wunsch und fester Wille fehlten.
Früher hatten sie mein Dasein als Störung empfunden, doch plötzlich schien ich ein gewisses Gewicht zu besitzen. Anders als früher hatte ich nicht mehr das Gefühl, nur teilweise vorhanden zu sein. Ich erwies mich als ebenbürtig, und zu meinem Schrecken schrumpften sie dadurch, ja sie wurden sogar ein wenig lächerlich, so als hätte ich mich mein ganzes Leben lang kleiner gemacht, als ich war, damit Mum und Miriam groß bleiben konnten. Anders als sie beide schien ich zu wissen, was ich wollte, worin mein Ziel bestand. Mein Verbrechen schürte meinen Ehrgeiz. Diese frühe Schuld würde ich mein Leben lang abbüßen müssen. Doch das tat ich gern.
»Dann wirst du also gut dastehen?«, fragte Miriam.
»Einigermaßen, ja.«
»Wie schön.« Das war nicht sarkastisch gemeint. Die anderen Seiten ihrer Persönlichkeit verbargen sich fast immer hinter ihrer Aggressivität und ständigen Stänkerei - ein Wort, das sie gut und treffend beschrieb. »Dann kannst du mir ja helfen, oder?«
Die beiden schauten mich fast bittend an. »Aber ihr wisst doch beide«, sagte ich, »dass kein Arzt seine Angehörigen behandeln darf.«
Im ersten Jahr meiner Ausbildung, ich arbeitete gerade mit Jugendlichen, starb Vater. Miriam und ich hatten ihn seit unserer Rückkehr aus Pakistan nicht mehr gesehen. Waren wir traurig? Ich hätte ihm gern noch erzählt, dass ich meine Berufung gefunden hatte. Ob er sie gutgeheißen hätte, wagte ich zu bezweifeln. Aber zu dem Zeitpunkt war ich stark genug, um sein Missfallen einfach abzuschütteln. Ich war auf mich gestellt, aber ich wusste immerhin, was ich tat.
Nachdem ich an jenem Abend das Haus verlassen hatte und durch die vertrauten Straßen ging, denen ich als ein Junge, der fast von etwas besiegt worden wäre, das er nicht begriff, niemals zu entkommen geglaubt hatte, wollte ich so schnell wie möglich zurück zu Freuds gesammelten Werken, zu den Patienten, die ich behandeln, den Konferenzen, die ich besuchen, den Büchern, die ich schreiben würde. Ich wollte nützlich sein - etwas erreichen.
Aber selbst in so optimistischen Momenten, in denen ich die Zukunft erstrebenswert fand, hallten die Worte des Toten in meinen Ohren: »Was wollt ihr von mir?«
ACHT
Ich sagte ganz unverblümt zu Miriam: »Du weißt, dass ich eine Klatschtante bin und alles sofort erfahren muss.«
»Du und Henry, ihr klingt so ähnlich«, erwiderte sie. »Aber du warst nie so viel auf Achse. Oder hast du dich verändert?«
»Jetzt klingst du wie er«, sagte ich.
»O mein Gott, wir lösen uns alle ineinander auf!«, sagte sie.
Es war Abend, und Miriam hielt sich bei meiner Ankunft in ihrer Küche auf. Vorn auf dem Hof rasten Kinder auf Fahrrädern herum. Im Haus verteilt befanden sich weitere Jungen und Mädchen mit ihren Freunden; am anderen Ende des Zimmers saß ein Teenager vor dem Femseher, eine Hand auf der Brust eines unansehnlichen Mädchens, die andere auf der Fembedienung. Bushy hockte barfuß auf einem Stuhl und stopfte sich Geld in die Socken, bevor er diese anzog. Dann warf er seine Schlüssel in die Luft, fing sie wieder auf und verschwand, um einen zahlungskräftigen Kunden abzuholen.
Miriam wirkte so zerstreut oder geistesabwesend wie früher als
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