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Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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in Verbindung getreten und hatte ihm erzählt, die angebliche »Doku« solle ein mitfühlendes Bild der ugandischen Inder zeichnen, Menschen, die mit leeren Taschen nach England gekommen, aber schon jetzt im sozialen Aufstieg begriffen waren; eine optimistische Geschichte über den Erfolg von Immigranten. Ajitas Vater war der Regisseur sympathisch gewesen, mit dem er viele Gespräche über Kricket, Indien und die politische Lage in der Dritten Welt geführt hatte. Wie sich herausstellte, war der Regisseur jedoch eine Art Doppelagent, wie angeblich so viele seiner Zunft. Er war ein Kommunist aus großbürgerlichen Verhältnissen, hatte in Cambridge studiert und war ein kluger und erfolgreicher Überläufer, der seine eigene Klasse und seinen familiären Hintergrund hasste.
    Der Dokumentarfilm zeigte viele Bilder aus dem Inneren der Fabrik, dazu gab es Interviews mit den Arbeitern. Ajitas Vater hatte bereitwillig kooperiert, weil es ihm schmeichelte, mit dem Film zu tun zu haben. Doch der »Cambridge-Kommunist« hatte Ajitas Vater als gnadenlosen Ausbeuter seiner eigenen Leute bloßgestellt, als einen Erzkapitalisten und gierigen Schurken. Ajitas Vater hatte versucht, Kontakt mit dem Mann aufzunehmen und sich zu wehren. Doch der Kommunist ließ plötzlich nicht mehr mit sich reden. Ajitas Vater fand es unbegreiflich, wie jemand so heimtückisch sein konnte. Aus seiner Sicht war das »typisch englisch« - und außerdem eine Erscheinung dessen, was er »marxistischen Kolonialismus« nannte.
    Die Arbeiter der Fabrik hatten den Film natürlich gesehen und waren aufsässig geworden, beschwerten sich inzwischen offen und drohten sogar mit Streik. In Afrika oder Indien hätte man sie gefeuert oder verprügelt. Ajita sagte zu mir: »Warum arbeiten sie nicht einfach? Bei diesem politischen Klima können sie doch froh sein, dass sie einen Job haben.« Das hatte ihr wohl ihr Vater eingetrichtert.
    Ich machte Ajita klar, dass ich in solchen Fällen auf der Seite der Arbeiter stand; das sagten mir Instinkt und Glaube, die ich von meinem Vater geerbt hatte. Ich erzählte ihr etwas großspurig, ich sei auch ein Unterstützer von Rock Against Racism, einer Initiative, die gegründet worden war, nachdem Eric Clapton in Birmingham auf der Bühne eine rassistische Rede gehalten hatte. »Na, los, Eric«, hatte der ursprüngliche Brief im Melody Maker gelautet, »steh doch dazu. Die Hälfte deiner Musik hat schwarze Wurzeln. Du bist der schlimmste Kolonialist des Rock.« Doch Ajita hatte nicht vor, eine Linke zu werden. Sie schwieg, und sie wollte sich nichts aufschwatzen lassen.
    Ich hoffte inständig, dass wir unser müßiges Leben wiederaufnehmen konnten, finanziert von dem großen Ausbeuter - ihrem Vater. Je länger der alte Herr bei der Arbeit war, egal, wie geplagt er auch sein mochte, desto mehr Zeit hatte ich, mich bei ihm durchzufressen, sein Bier zu saufen und seine Tochter zu vögeln. Die Politik faszinierte mich nur, wenn es um Rassenprobleme ging. In den Siebzigern wurde ständig gestreikt; das Streiken war das einzige Trostpflaster dafür, dass man arbeiten musste. Einmal pro Woche erloschen mit schöner Regelmäßigkeit sämtliche Lichter. Man hörte, wie in allen Pubs und Tanzhallen der Nachbarschaft ein ironischer Jubel aufbrandete, bevor man sich ein Mädchen schnappte und die Kerzen hervorholte. Zur Abwechslung gab es hin und wieder Engpässe bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln oder Treibstoff und als Sahnehäubchen eine Art Staatskrise, die Minister zum Rücktritt zwang und die Regierung knapp an der Katastrophe vorbeischlittern ließ. Gelegentlich kam noch eine Bombe der IRA hinzu: Diese Typen jagten mit Vorliebe Pubs in die Luft, aber auch die Hammersmith Bridge, auf die zwei Attentate verübt wurden, hatte es ihnen angetan. Bald darauf schlug man die falschen Verdächtigen zusammen, presste ihnen Geständnisse ab und lochte sie ein. Das war Alltag.
    Doch diese Krise in der Fabrik nahm Ajita so sehr mit, dass sie nicht mehr mit mir schlafen mochte. »Fass mich nicht an, Jamal«, sagte sie und wandte sich von mir ab. »Ich kann das jetzt nicht. Ich fühle mich zu mies.« Es war das erste Mal, dass sie mich abgewiesen hatte, der erste Schatten, der auf unsere Leidenschaft fiel.
    Sie wollte sich nicht trösten lassen. Zur Ablenkung fuhren wir zum College und saßen mit Valentin schweigend in der Bar. Ich war gern dort, und alle Männer starrten Ajita an. Sie war ein außergewöhnlich hübsches Mädchen. Ich hatte

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