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Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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wir die Füße auf die Glasplatte des Couchtisches gelegt hatten, Kartoffelchips aßen und der Fatback Band lauschten, wurde mir beim Anblick von Ajitas Gesicht zum ersten Mal bewusst, dass sie Angst vor ihm hatte. Sie war nicht nur erschrocken. Ich glaubte, sie würde gleich in Ohnmacht fallen.
    Zum Glück war Mustaq zu Hause. Er saß wie üblich in einer Ecke und beäugte mich über das Cover von Young Americans hinweg. So konnte sie mich - wie geplant - als seinen Freund vorstellen. Damit war der gemütliche Teil des Tages vorbei. Denn um zu zeigen, wie eng befreundet ich mit Mustaq war, musste ich den ganzen Nachmittag in seinem Schlafzimmer verbringen. Ajita hatte mich oft gebeten, mit ihrem Bruder zu reden, weil sie sich Sorgen um ihn machte. Ihr Vater sei zu beschäftigt, um sich ihm wirklich widmen zu können. Ihm fehlten die väterliche Anleitung, das männliche Vorbild. Er sei mädchenhaft und habe keine Ahnung von Fußball.
    Der Junge war glücklich, mich ganz für sich zu haben. Und er nutzte es so richtig aus. Erst schoss er ein Foto von mir, dann zeigte er mir seine »Schätze«: eine Modelleisenbahn, sein Peanuts-Jahrbuch, seine Snoopy-Sticker, eine eigenhändig aus Treibholz geschnitzte Wodu-Puppe in voller Montur, samt Nägeln und mit schwarzem Filzstift aufgemalten Zahlen, seine Drums und eine akustische Gitarre. Außerdem konnte er mich noch mit einer uralten Kondompackung, einem Klappmesser und dem Foto einer Kusine beeindrucken, die, luftig in einen Bikini gehüllt, am Gestade eines Ozeans posierte.
    Dann bat er mich, mit ihm zu ringen. »Na, schön«, sagte ich. Warum willigte ich ein? Weil ich hoffte, er würde endlich die Klappe halten. Mir wich das Blut aus dem Gesicht, als er sich langsam bis auf die Unterhose auszuziehen begann.
    Ich war nicht scharf auf das Ringen, vor allem nicht, als ich sah, wie professionell er sich aufführte, wie er hüpfte und auf den Zehenspitzen federte und die Faust auf die flache Hand klatschen ließ - Batsch, batsch, batsch! Er hatte zwar nicht gerade wenig Speck auf den Rippen, wirkte aber trotzdem wie ein harter, fieser, kleiner Kämpfer.
    Er kam wie ein Bär auf mich zugestapft, die Zähne gebleckt, die Arme angewinkelt, und er umarmte mich sofort. Er warf mich vom Bett, er schmiss mich im Zimmer herum, und am Ende setzte er sich auf mich, kitzelte mich und küsste mich auf die Wangen. Als ich aufzustehen versuchte, zwängte er seine Hände vorn unter meine Hose. Schreien konnte ich nicht, denn in dem Fall wäre sein Vater wahrscheinlich mit einer Schrotflinte in das Zimmer gestürmt. Mustaq, rittlings auf mir sitzend, schwang die Hüften und führte sich ungefähr so auf wie eine Transe oder ein Teenager-Vamp. Vater und Schwester waren nur ein paar Meter weit weg, und er wollte mir wahrhaftig einen blasen.
    Zu meiner Erleichterung sprang er irgendwann auf und rannte zum Klavier. Dort stimmte er einen Song an, den er offenbar selbst komponiert hatte: Jedem zerreißt es einmal das Herz.
    »Hör zu, hör zu«, sagte er. »Sag mir, wie du das findest!«
    »Super Song, Mann, echt«, sagte ich.
    »Ehrlich?«
    »Ja, du solltest ihn aufnehmen und irgendwo hinschicken!« Ich hatte es so eilig zu verschwinden, dass ich über die Kante des Bettes stolperte und zwangsläufig das erblickte, was sich darunter verbarg - Berge halb verzehrter Schokoriegel, bunte Süßigkeitentüten und vermodernde Ostereier.
    Ich entkam mit heiler Haut, wenn auch nur knapp, und ich verfluchte seine ganze Familie.
    »Komm bald wieder«, flüsterte Mustaq.
    »Und? War es nett?«, fragte Ajita lächelnd. »Ich bin ja so froh, dass ihr zwei euch gut versteht!«
    Ich war so unglaublich in sie verliebt. Auf den Rest der Familie hätte ich verzichten können. Ich erzählte Ajita nicht, was ihr Bruder bei mir versucht hatte, aber beim nächsten Mal brachte ich ihm Bücher und Zeitschriften mit, vor allem amerikanisches Underground-Zeug, das ihm wahrscheinlich unbekannt war - Rechy, Hirnes, Algren, ja sogar Burroughs. Ich gab ihm alles unter der Bedingung, dass er mich nicht noch einmal befummelte. »Väter mögen es, wenn ihre Söhne lesen«, sagte ich zu ihm. »Sie halten Bücher für lehrreich und gut. Sie haben keine Ahnung, dass Bücher auch ziemlich gefährlich sein können.«
    Zu meiner Überraschung verschlang er alles, was ich ihm geliehen hatte, erzählte mir davon und bat um Nachschub. Ich lieh ihm Der Wendekreis des Krebses und Stille Tage in Clichy , und er schrieb mir auf einem

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