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Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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merkte, dass ich mir etwas vormachte.
    »Sag mir, wer es ist, und dann räumen wir die Sache aus der Welt«, wiederholte ich, doch sie weigerte sich wie üblich. Ich fragte sie, ob ich irgendwelche Macken hätte und ob sie sich deshalb etwas bei jemand anderem abholen müsse.
    »Macken?«, sagte sie. »Aber du hast mich nicht enttäuscht. Du hast alles, was ich will.«
    »Das glaube ich dir nicht«, erwiderte ich. »Es muss doch an mir liegen. Und wenn nicht«, fuhr ich fort, »dann verrat mir, welche Vorzüge dieser andere Mann besitzt. Jene Vorzüge, wegen denen du ihn begehrst.« All das ließ meine Phantasie natürlich Amok laufen. Mein Nebenbuhler nahm in meiner Vorstellung allmählich die Gestalt eines Riesen an.
    »Wieso glaubst du, dass ich ihn begehren würde?«, fragte sie. »Kannst du mich denn nicht von dieser Qual erlösen?« »Gut«, sagte sie. »Setz dich und hör zu.« Und sie beichtete mir die Wahrheit.
    Ich lief tagelang mit dieser Wahrheit herum und versuchte, sie irgendwie zu verdauen. Denn als ich sie hörte, glaubte ich - wirklich und wahrhaftig und ohne Aussicht auf Umkehr -, verrückt zu werden.
    DREIZEHN
    Sie erzählte mir Folgendes.
    Die Sommerferien rückten näher. Wir waren seit acht Monaten zusammen. Sobald es warm genug war, nahmen wir unsere alte Gewohnheit wieder auf und legten uns mit Radio und Büchern, Wein und Zigaretten in ihrem Garten auf die Decke. Ich hatte ihre Füße und Fußgelenke massiert und gestreichelt und fragte mich, ob sie jetzt bereit wäre, mit mir zu schlafen. Doch ich sagte: »Vor ein paar Wochen habe ich mir die Fabrik angeschaut.«
    »Wirklich?«
    Ich erzählte ihr, dass ich die Streikposten hatte sehen wollen, die Studenten, den ganzen Aufruhr. Ich sagte, ich habe sie in die Fabrik fahren sehen, halb auf der Rückbank verborgen.
    »Das ist kein Geheimnis«, erwiderte sie und berührte mich zärtlich am Gesicht. »Du hast mich nie danach gefragt.« Sie begann, sich anzuziehen oder wenigstens zu bedecken, als wäre sie für das, was sie mir zu sagen hatte, nicht passend bekleidet. »Du löcherst mich nun schon seit einer Ewigkeit wegen meiner Liebhaber, wie du sie nennst.«
    »Löchern? Wie wäre es mit der heilsamen Wahrheit? Du hast meinen Verdacht kein einziges Mal entkräftet.«
    »Ich kann dich nicht daran hindern zu fragen«, sagte sie. »Du willst alles wissen, und das mag ich an dir. Deshalb werde ich dir jetzt alles erzählen, und danach wirst du still sein, o ja.«
    »Du hast etwas mit Valentin, oder?«
    »Was?«
    »Wolf?«
    »Er würde schon eher in Frage kommen.« »Warum?«
    »Er lässt nicht locker und hat weniger Skrupel, was dich betrifft.« »Hat er dich etwa angemacht?«

»Es sind deine Freunde, und deshalb würde ich mich nie darauf einlassen. Oder willst du, dass ich mit ihm schlafe?« »Nein!«
    »Wie kannst du so etwas von mir denken?«
    Ich presste mir die Hände an den Kopf. »Was soll ich denn denken, wenn du mir nicht hilfst? So stelle ich mir ja alles Mögliche vor! Die Wahrheit wird uns wieder Boden unter den Füßen geben, das weiß ich! Gibt es jemanden, den du mehr liebst als mich? Bin ich nur zweite Wahl?«
    »Komm her, ich möchte dich in den Arm nehmen. Und hör gut zu. Ich erzähle das kein zweites Mal. Die Worte sind zu schwer.« Sie sagte:
    »Manchmal kommt mein Vater nach Mitternacht in mein Zimmer und schläft mit mir.«
    »Im Ernst?«
    »Ja. Das tut er, Jamal.«
    Ich nickte nur. Ich fühlte mich leer, starrte sie an. Dann fiel mir ein, dass ich noch mehr wissen musste. »Wie lange geht das schon?« »Wie meinst du das?«
    »Lief das schon, bevor wir uns kennengelernt haben?« » Da hatte es gerade angefangen.«
    »Warum hast du mir das nicht erzählt?«
    »Wie denn? Ich war bis über beide Ohren in dich verliebt. Das hätte dich doch abgeschreckt. Vielleicht hätte es auch die Runde gemacht, und dann wäre mein Vater verhaftet worden. Oder sein Ruf wäre ruiniert gewesen.«
    »Sein Ruf?«
    »Die hiesige Gemeinschaft bedeutet uns sehr viel. Wenn wir uns gegen sie stellen, werden wir ausgegrenzt.«
    »Hast du denn nie gedacht, es mir irgendwann erzählen zu müssen?«, fragte ich.
    »Keine Ahnung. Ja, was habe ich gedacht? Eigentlich nichts. Vielleicht habe ich gehofft, es würde aufhören und ich könnte die ganze Sache irgendwie vergessen. Mit so etwas habe ich keine Erfahrung. Liebst du mich jetzt nicht mehr? Findest du mich abstoßend und widerwärtig?«
    Ich küsste sie auf den Mund. »Natürlich liebe ich dich noch.

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